Lernort Zukunft – solidarisch Land-Wirtschaften

Tobias Hartkemeyer

Pro Tag schließen in Deutschland über 30 landwirtschaftliche Betriebe. Dieser langanhaltende Trend hat bald ein Ende, denn schon in 15 Jahren wird es bei dieser Entwicklung keine Betriebe mehr geben, die noch schließen könnten. Landwirtschaft wird es dann zwar noch geben, nur sie wird etwas vollkommen anderes sein, sie wird kaum noch von Bauern gemacht, sondern vor allem von teuren Robotern, die den großen Kapitalanhäufungen gehören. Google, Monsanto und John Deere haben sich hierzu schon zusammengeschlossen. Was geht da vor sich? Mit welchen Ideen und inneren Bildern wird dieser Prozess Realität, ein Prozess, der die Schöpfung gewaltig verändern wird?

Welche Rolle spielt dann die Arbeit und was bedeutet das »Tätigsein« des Menschen in der Welt? Welche Alterna­tiven gibt es?

Fruchtbarkeit fördern statt Sterilität züchten

Seit Jahrtausenden haben die Menschen Pflanzen und Tiere gezüchtet und waren dabei von der Frage geleitet, wie Gesundheit und Fruchtbarkeit gefördert werden können. Seit einigen Jahren haben sich diese handlungsleitenden Bilder vollkommen geändert und teilweise in ihr Gegenteil verkehrt. Nicht mehr die Frage nach der Förderung des lebendigen Prinzips der Fruchtbarkeit ist entscheidend, erstrebenswert ist vielmehr die Beherrschung der Unfruchtbarkeit. Denn die konventionelle Züchtung orientiert sich nicht primär an den Naturgesetzen, sondern an den von Menschen gemachten Spielregeln der Marktwirtschaft. Marktwirtschaftlich scheint es rationaler, dem Bauern möglichst jedes Jahr wieder Saatgut zu verkaufen. Das geht aber am besten, wenn das einmal verkaufte Saatgut nach der Ernte unfruchtbar ist, dann muss es auch neu gekauft werden. CMS-Saatgut (CMS = zytoplasmatische männliche Sterilität) ist eine solche Züchtung, die sich rasant verbreitet und auch im Biobereich samenfeste Gemüsesorten vernichtet (nur Demeter hat das CMS-Saatgut verboten). Ist es nicht krankhaft, dass bewusst Unfruchtbarkeit gezüchtet wird? Solches Denken und eine solche Praxis zu kritisieren ist schwer, denn sie macht betriebswirtschaftlich Sinn und auch keinen Halt vor dem Ökolandbau, denn er spielt nach den gleichen marktwirtschaftlichen Spielregeln. Da stellt sich nur die Frage: »Machen die von uns erdachten Spielregeln dieser Betriebswirtschaft noch Sinn?«

Niemand arbeitet für sich, sondern für die Anderen

Was passiert, wenn ich in der Welt nach bestimmten Spielregeln tätig bin? Wenn ich arbeite, werde ich meist nach vereinbarten Spielregeln bezahlt. Ich erhalte einen Gegenwert, durch den ich mit anderen Menschen in Austausch treten kann. Ich bringe mich mit meinen Fähigkeiten in die Gemeinschaft ein. Ich arbeite damit letztlich für andere. Die Spielregeln des Wirtschaftens sind dafür da, den Austausch zu ermöglichen. Da ich letzten Endes vor allem für andere arbeite, kommt es darauf an, dass ich auch ein Bewusstsein entwickeln kann für die Bedürfnisse des anderen. Doch letztlich arbeite ich nicht nur für andere Menschen, sondern auch für andere Mitgeschöpfe, für den Boden, die Pflanzen und die Tiere. Wenn ich aber noch nicht einmal die Bedürfnisse meiner Mitmenschen wahrnehmen kann, wie kann ich mich auch noch für die anderen Lebensbereiche sensibilisieren?

Man kann Lebensmittel nicht kaufen

Die Entwicklung eines solidarischen, geschwisterlichen Wirtschaftens bedarf neuer Lernorte. Die solidarische Landwirtschaft ist ein solcher Lernort. Hier können Lebensmittel nicht mehr gekauft werden. Sie werden gemeinsam ermöglicht. In der solidarischen Landwirtschaft wird der Mitgliedergemeinschaft jährlich der benötigte Aufwand für den Erhalt der Vielfalt aufgezeigt und damit werden auch die durchschnittlichen Kosten für einen Ernteanteil dargestellt. Jedes Mitglied überlegt, wieviel Anteile er für sich und seine Familie braucht und wieviel er dafür geben kann. Dann wird verdeckt errechnet, ob das Budget gedeckt ist oder ob es der Modifikation bedarf. Ist das Budget abgesegnet, erhält jedes Mitglied seinen wöchentlichen Anteil an der Ernte. Rechtlich werden alle gleichbehandelt, egal wieviel jeder für seinen Anteil bezahlt. Die Lebendigkeit der Beziehung zwischen Hofgemeinschaft und Mitgliedern fördert eine Wahrnehmung der Bedürfnisse der Landwirtschaft und der Möglichkeiten der einzelnen Mitglieder. Mitgliedern steht es frei, darüber hinaus den Hof durch verschiedenste Tätigkeiten zu fördern. So gibt es immer auch Menschen, die sich durch ihre Arbeit einbringen, weil sie es wollen und nicht, weil sie es müssen oder dafür bezahlt werden.

Es gibt aber auch Menschen, die weder durch Geld, noch durch Zeit eine vergleichbare Unterstützung für den Hof leisten können wie andere (zum Beispiel Alleinerziehende). Daher ist der Geldbeitrag individuell und die mögliche Hilfe davon unabhängig. Ein solcher Lernort bildet die Grundlage für ein solidarisches Wirtschaften, das neben der Achtsamkeit füreinander auch die Erde und die Pflanzen und Tiere miteinschließt.

Steiners Anregungen sind heute aktueller denn je

Können auch Kinder hier lernen oder müssen sie in einem Klassenzimmer im Takt des Stundenplans belehrt werden? Was könnten Kinder hier lernen und was brauchen sie später im Leben? Wie können sie Spielregeln für ihr späteres Leben entwickeln, die fruchtbar auf ihr Lebensumfeld wirken? Rudolf Steiner entwickelte vor fast 100 Jahren die Grundlage der Waldorfpädagogik und der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. Er stellte auch in der Beschreibung der Sozialen Dreigliederung wesentliche Aspekte für die fruchtbare Entwicklung des sozialen Miteinanders dar. Sie beinhaltet die Solidarität im Wirtschaften, der Gleichheit im Rechtsleben und der Freiheit im kulturellen und geistigen Leben. Wie können sich diese drei Impulse noch stärker durchdringen und befruchten?

Solidarische Landwirtschaft bietet einen lebenspraktischen Begegnungsraum und einen Lernort, an dem erwachsene Menschen neue, handlungsorientierte Wege zu mehr Nachhaltigkeit entwickeln können. Das gemeinsame solidarische Wirtschaften, der Umgang mit den Ressourcen und der Umgang miteinander sind zentrale Themen. Notwendig sind Erwachsene, die sich um ihre Nachhaltigkeit bemühen und diesen Umgang mit den Ressourcen an die nächste Generation täglich vermitteln.

Die solidarische Landwirtschaft steht dem Impuls der Sozialen Dreigliederung der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise nahe, da sie soziale Komponenten mit einbezieht. Doch wie kann der pädagogische Impuls, das heißt die schulische Bildung, in der Landwirtschaft verwirklicht werden?

Schulfächer sollten abgeschafft werden

In Finnland werden gerade die Schulfächer abgeschafft. Gelernt wird in Zukunft in Projekten. Könnte man auch noch einen Schritt weitergehen und die Lernanlässe direkt aus dem echten Leben nehmen? Das Beziehungsfeld der solidarischen Landwirtschaft bietet hierzu viele Möglichkeiten. Anhand von konkreten Projekten stellen sich viele grundsätzliche Fragen und Aufgaben, Gesamtzusammenhänge darzustellen und zu vermitteln. Erde, Pflanzen, Tiere und Menschen – Natur und Kultur – wirken produktiv zusammen. Die Landwirtschaft ist ein Begegnungsraum und Aktionsforschungsfeld für Kinder und Erwachsene, ein Lernort, an dem Zukunft entwickelt wird. Gemeinsam gilt es hier, täglich neue, echte Aufgaben zu lösen.

In diesem offenen Begegnungsraum können Erwachsene vor allem als Vorbilder und Begleiter erlebt werden. Neben ihnen können die Kinder spielerisch ihren individuellen Weg zum Tätigsein in der Welt erproben. Das Lernen ist Teil dieses Spiels. Die Grundlage dieses Lernortes bildet die gemeinsame Kultivierung der Erde, der Pflanzen, der Tiere und der Gemeinschaft.

In dieser Gemeinschaft kann sich eine tiefe Wertschätzung für Lebensmittel und Natur entwickeln. Kinder lernen durch eigene Erfahrung, wie anstrengend es ist, Nahrungsmittel zu produzieren – eine Erfahrung, die man so nicht in Schulbüchern vermitteln kann. Der bäuerliche Arbeitsbereich ist hervorragend geeignet, die Tiefe der Lebenszusammenhänge durch Tätigkeiten erfahrbar zu machen. Hier können die Impulse zum Lernen für alle Lebensbereiche aus der Praxis kommen und Teil eines lebendigen Prozesses sein. Wie Boden, Pflanzen und Tiere zusammenhängen und von Wetter und Klima beeinflusst werden, wird hier deutlich und trägt dazu bei, dass Kinder und Erwachsene ein lebensnahes Verständnis für den Umgang mit den Ressourcen entwickeln. Die Verbindung von Sozialer Dreigliederung, Waldorfpädagogik und biologisch-dynamischer Landwirtschaft ist ein Plädoyer für das Lebendige. Sie ist ein Versuch, mehr Orte zu schaffen, an denen der Mensch das Lebendige gestaltet. Es geht darum, die Erde ins Zentrum der Kultur und der Bildung zu rücken, also Orte zu gestalten, an denen die Beziehung zur Natur mit allen Sinnen erfahrbar ist. Darin liegt die Chance, innere Bilder und Fähigkeiten für die Entwicklung von Fruchtbarkeit in die Zukunft zu tragen.

Auf dem Hof Pente wird in diese Richtung gearbeitet. Lehrer, Schüler, Eltern und Landwirte sind beteiligt. Viel Erfahrung mit Schülern, Schulklassen, Auszubildenden und einem eigenen Kindergarten wurde gesammelt und bildet die Grundlage für die Gründung der Freien Hofschule Pente.

Zum Autor: Dr. Tobias Hartkemeyer ist Landwirt, Lehrer, Aktionsforscher; Mitbegründer des »CSA Hofs Pente« und der Arbeitsgemeinschaft »Handlungspädagogik«.

https://hofpente.de

Literatur: T. Hartkemeyer, P. Guttenhöfer, M. Schulze: Das pflügende Klassenzimmer – Handlungspädagogik und Gemeinschaftsgetragene Landwirtschaft, München 2014; T. Hartkemeyer: Nachrichten vom Hof 5 – Erdverbunden statt Bodenlos, Norderstedt 2016; J. F. Hartkemeyer, M. Hartkemeyer, T. Hartkemeyer: Dialogische Intelligenz – Aus dem Käfig des gedachten in den Kosmos des gemeinsamen Denkens, Frankfurt 2015