Hinter den Kulissen der Stadt

Andrea Vogelgesang, Franz Glaw

Das Leben ist bequem heutzutage, ganz besonders in der Stadt mit ihrem Waren- und Dienstleistungsangebot. Der allzeit mühelose Zugang verschafft ein Gefühl von Selbstverständlichkeit, so als bestünden die Optionen des alltäglichen Lebens wie von selbst.

Wie kommt es, dass ich jederzeit eine warme, beleuchtete und elektrifizierte Wohnung zur Verfügung habe, jederzeit mit meinen Freunden auf den verschiedensten Wegen kommunizieren, rund um die Uhr einkaufen kann, dass mir ein Angebot von fast 30 Theaterbühnen, 13 Schwimmbädern, 15 Stadtbüchereien und zahlreichen anderen Kultureinrichtungen preiswert zur Verfügung steht und dass ich all diese Orte fast rund um die Uhr mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann? Das ist nicht selbstverständlich, war nicht immer so und muss auch nicht immer so bleiben, wie bereits ein Blick in nur wenige Kilometer entfernte Städte zeigt. Die Schüler der 12. Klasse der Düsseldorfer Rudolf Steiner Schule gingen diesen Fragen in einem Pilotprojekt »Zusammenleben in Düsseldorf« in ihrer Wirtschafts- und Sozialkundeepoche nach.

Ziel war es, die Vorgänge, die lediglich als Ergebnis, selten jedoch als Prozess wahrgenommen werden, einzusehen und zu verstehen.

Drei methodische Ziele standen für die Erarbeitung im Mittelpunkt:

• Initiative: Für die Erkundung des eigenen Bereichs musste man zunächst Kontakte knüpfen, Ansprechpartner suchen, Termine verabreden, vorab recherchieren, um Fragen vorzubereiten, und dabei nicht selten auch eine gehörige Portion Mut aufbringen.

• Unmittelbarkeit: Das Wissen um die Hintergründe und Zusammenhänge sollten nicht vom Lehrer kommen und auch nicht aus Büchern oder anderen Medien gewonnen, sondern unmittelbar bei den Akteuren und Verantwortlichen der entsprechenden Bereiche erworben werden.

• Begegnung: Die Strukturen unseres Zusammenlebens funktionieren nur, wenn sie von Menschen getragen werden, die mit Engagement und Überzeugung ihre Aufgaben erfüllen. Insofern stellte auch das Element der persönlichen Begegnung einen wesentlichen Aspekt dieses Projekts dar.

Aus dem Angebot von etwa 20 Themenbereichen konnte jeder Jugendliche einen Schwerpunkt auswählen und diesen in drei Schritten – der Explorationsphase, der Verknüpfungsphase und der Präsentation – beleuchten.

Der Leiter des in der Oberstufenkonferenz konzipierten Projektes stellte eine Liste mit Ansprechpartnern zur Verfügung. Dazu gab es die Aufgabe, ein Konzept für die verschiedenen Formen der Präsentation zu entwickeln, sei es eine Ausstellung mit Führungen, eine Radiosendung, eine Website oder einen Kurzfilm. Alles Weitere mussten die Schüler auf eigene Faust erkunden.

Zur Wahl standen die Bereiche: Handel, Mode und Beauty, Kreative Wirtschaft, Legal- and Consulting City, Information und Telekommunikation, Biotechnologie, der Industriestandort, Bildung (Schulen, Hochschulen), Versorgung (Strom, Gas, Wasser), Entsorgung, Soziales, Gesundheit, Sicherheit (Feuerwehr, Polizei, Umweltschutz), Verkehr, Mobilität, Wohnen/Stadtplanung, Kultur, Finanzen und Presse.

Im Schulausschuss

Christian hat sich für den Bereich Bildung interessiert und in der Explorationsphase Kontakt zum Schulausschussvorsitzenden der Grünen im Rat, Wolfgang Scheffler, aufgenommen. Der Schüler ist im Rückblick erstaunt und begeistert zugleich, wie unkompliziert es war, ein Treffen zu arrangieren. Als er im Rathaus war, kamen Themen wie Inklusion, die Einstellung von Hausmeistern und Sauberkeit an den Schulen auf den Tisch.

Am Folgetag gewann Christian Einblicke in Fakten der Bildungslandschaft wie zum Beispiel den Mangel an Lehrern in den Fächern Mathematik, Physik und Chemie und an Direktoren für Grundschulen.

»Mich persönlich haben auch Bereiche der Universitäts- und Weiterbildung interessiert, die mir über einen unkomplizierten Kontakt mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Anja Kirberg, der philosophischen Fakultät der Universität beantwortet wurden. Außerdem besuchte ich eine Vorlesung von Professor Heiner Barz, der schwerpunktmäßig zu den Themen Bildung und Reformpädagogik forscht«, erläutert Christian.

Im Kulturamt

Oskar hat ähnliche Erfahrungen gesammelt. Auch er berichtet von offenen Türen, als er sich im Bereich Kultureinrichtungen kundig machen wollte.

Seine Ansprechpartner waren die stellvertretende Leiterin des Kulturamtes, Pressesprecher und Kulturreferenten des Kunstpalastes und der Kunsthalle sowie vom Düsseldorfer Schauspielhaus und der Deutschen Oper am Rhein. Spannende Begegnungen hinter den Kulissen und Erkenntnisse, die erstaunten. »Ich erfuhr, aus welchen Mitteln sich die Oper finanziert und nicht nur, dass Schüler beim Opern- oder Theaterbesuch 50 Prozent Ermäßigung bekommen, sondern auch, dass die Häuser durch Kürzungen an allen Ecken und Enden zum Sparen gezwungen werden.« Außerdem erstaunte ihn die Tatsache, wie viele Berufe nötig sind, um den Spielbetrieb zu ermöglichen und am Laufen zu halten: vom Pförtner, den Mitarbeitern in der Verwaltung oder den Werkstätten, Bühnentechnikern und Souffleusen, die man praktisch nie sieht, bis hin zu den Schauspielern und der Intendanz, sind es an die 180 Angestellte.

Im Verkehrsdezernat

Paula hat sich mit dem Dezernenten für Verkehr, Stephan Keller, getroffen. Als passionierte Fahrradfahrerin wollte sie so viel wie möglich rund um die Gegebenheiten und Entwicklungen der Düsseldorfer Fahrradwege in Erfahrung bringen. Immerhin legt sie täglich insgesamt sechzehn Kilometer auf dem Sattel für ihren Schulweg zurück. »Ich hatte zunächst die naive Frage, wie ein Radweg eigentlich entsteht und was Düsseldorf dafür tut, fahrradfreundlich zu sein. Zudem wollte ich wissen, wie es mit der Fahrradwegnutzungspflicht steht, wenn – wie es häufig der Fall

ist – diese in einem schlechten Zustand sind, und habe dabei zusätzlich einiges über Bauvorschriften bei Planungen erfahren.« Paula gewann Einblicke in den Etat für Radverkehr und wie unterschiedlich teuer die Verkehrsmittel für die Stadt sind. »Es war aufschlussreich zu erfahren, wie die Wege in Düsseldorf entstehen und vor allem auch, warum viele Stellen in einem schlechten Zustand sind. Seitdem ich um die knappen finanziellen Mittel weiß, habe ich auch mehr Verständnis«, resümiert Paula die Ergebnisse der Gespräche.

Bei der Abfallwirtschaft

Eine ganz besonders intensive Betreuung erfuhren Helena und Lena, die sich einen Einblick in den Bereich Entsorgung verschafften. Ralf Böhme, der Pressesprecher der Awista (Gesellschaft für Abfallwirtschaft und Stadtreinigung) führte die beiden Schülerinnen an drei Tagen zu allen Betriebstätten und zeigte und erklärte ihnen umfassend die verschiedenen Betriebsbereiche. Helena: »Herr Böhme klapperte mit uns voller Motivation und Tatendrang alle Orte der Entsorgung ab. Die Mitarbeiter in den verschiedenen Bereichen erklärten uns die entsprechenden Anlagen und sogar Herr Böhme, wie er sagte, konnte sein Wissen ein wenig auffrischen! Wir haben richtig viel erfahren und nun eine Antwort auf die Frage, was eigentlich mit unserem Müll passiert.«

Ein Gesamtbild wird präsentiert

Die nächste Phase des Projektes war die Verknüpfung.

Darüber berichtet Christian Folgendes: »Wir tauschten uns aus und arbeiteten an einem Gesamtbild der verschiedenen Bereiche in der Stadt. Zu unseren Ergebnissen gab es eine kleine Ausstellung im Saal.« Das Projekt schließt mit einer Präsentation ab, damit eine breitere Öffentlichkeit an den Ergebnissen und Erkenntnissen der Zwölftklässler teilhaben kann. Geplant sind Führungen durch die Ausstellung und Kurzberichte von verschiedenen Schülern. Für die Düsseldorfer Schulhomepage schreibt jeder Schüler eine Art Zeitungsbericht zu seinem Thema. Oskars Klassenkameradin Olivia hat die verschiedenen Treffen filmisch dokumentiert, um sie ebenfalls auf die Website zu stellen. Nicht alle Schüler haben positive Erfahrungen sammeln können, manche bekamen von einer angefragten Behörde oder Firma keine Antwort und beim Nachhaken zeigte sich geradezu ein Desinteresse gegenüber den Anliegen der Jugendlichen. Umso mehr erfreute es die Klasse, als sie einen spontanen Besuch von Düsseldorfs Bürgermeisterin Gudrun Hock erhielt. »Das Projekt war sehr aufschlussreich und durch Frau Hocks  Besuch der Ausstellung fühlten wir uns richtig ernst und wichtig genommen«, sagt Christian rückblickend.

Zu den Autoren: Andrea Vogelgesang ist Lehrerin, Schulmutter und in der Öffentlichkeitsarbeit an der Rudolf Steiner Schule Düsseldorf tätig. Franz Glaw ist Lehrer für Deutsch und Mathematik.