Die esoterische Grundlage würdigen

Johannes Kiersch, Tomás Zdrazil

Es ist zu begrüßen, dass die »Erziehungskunst« das neue Handbuch »Waldorfpädagogik und Erziehungswissenschaft« lobt und würdigt. Mit der Blickfang-Überschrift »Raus aus der esoterischen Schmuddelecke« hat sie jedoch einen kritischen Punkt der Publikation getroffen, den die Buchbesprechung auch taktvoll berührt.

Dieser Satz ist mehrfach irritierend. Die flotte Formulierung stammt aus der Einleitung, mit der Jost Schieren, der Herausgeber des gewichtigen Bandes, die bis heute nicht befriedigend gelöste Aufgabe einer vorurteilslosen wissenschaftlichen Diskussion über das Werk Rudolf Steiners ins Auge fasst. Schieren will damit wohl sagen, dass der akademische Mainstream die Waldorfpädagogik wegen ihrer anthroposophischen Grundlagen in eine marginale Außenseiterposition versetzt habe, einen Ort, wo bisher noch nicht aufgeräumt und sauber gemacht worden ist.

Etwas unklar bleibt an dieser Stelle, ob er selbst dieser Meinung ist. Eigentlich müsste ihm diese Ansicht als einem Schüler Goethes und Herbert Witzenmanns so fern wie nur möglich liegen. Auch die »Erziehungskunst« hat sich bisher darum bemüht, »Esoterik« in ihren seriösen Formen nicht mit dem verworrenen Bild davon zu verwechseln, das heute mit dem Herrn der Ringe, mit Harry Potter und ähnlichen Produktionen im Umlauf ist und bewundernswerte Traditionen lächerlich gemacht hat. Den ganzen Jahrgang 2010 über hat sie Nummer für Nummer einer aufklärenden Artikelserie zum Thema Esoterik Platz gegeben. Jetzt freut sie sich zu Recht darüber, dass Anthroposophie und Waldorfpädagogik wissenschaftlich ins Gespräch kommen und weist dabei auf die problematisierende Haltung des Herausgebers des Bandes zu Steiners Esoterik hin: diese, die doch den Kern des Ganzen ausmacht, wird in die »Schmuddelecke« gestellt.

Wer das tut, verkennt aus unserer Sicht wesentliche Quellen in der Geistesgeschichte der Menschheit und ganz konkret entscheidende Impulse, die von Rudolf Steiner und seinem Werk ausgegangen sind. Steiner äußerte sich gegenüber den Lehrern, »die ganze Wirksamkeit« der Waldorfschule sei »auf Esoterik aufgebaut«. Als er die Freie Hochschule für Geisteswissenschaft als eine »esoterische Institution« gegründet hat, wurde das Lehrerkollegium der Stuttgarter Schule komplett als Mitglieder in sie aufgenommen. Soll man nun die Waldorfpädagogik selbst wissenschaftlich behandeln und sie zu einem wissenschaftlichen Diskussionsgegenstand machen, muss man auch und vor allem diese ihre esoterischen Aspekte in den Fokus nehmen.

Statt des dubiosen Worts von der »Schmuddelecke« schlagen wir vor, ein prägnantes Bild einzusetzen, mit dem Steiner nach dem Goetheanum-Brand 1922/23 auf eine bedrückende Sorge aufmerksam machte. Er sah seine anthroposophischen Schüler in eine zweifache Gefahr geraten: einmal sich durch Arroganz, Besserwisserei und mangelndes Interesse für Andersdenkende in eine »belagerte Festung« zurückzuziehen, in sektenhafte Isolation (Rudolf Steiner, GA 259), andererseits durch persönliche Eitelkeiten, Intellektualismus sowie Sehnsüchte nach akademischer Anerkennung die Anthroposophie durch eine additive Verbindung mit den Fachwissenschaften zu einem »mixtum compositum« herunterzudeklinieren (Rudolf Steiner, GA 260a). Beide Verführungen begleiten die anthroposophische Arbeit bis zur unmittelbaren Gegenwart. Mit Schmutz und Unordnung hat das nichts zu tun.