Die Sekem Schule in Ägypten. Ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung

Bruno Sandkühler

Das staatliche ägyptische Schulwesen beruht auf dem Erlernen vorgegebener Schulbuchinhalte. Obwohl die Schule theoretisch kostenlos ist, können viele Kinder sie nicht besuchen, da Eltern nicht in der Lage sind, das Geld für Schulkleidung, Hefte und Schulbücher aufzubringen. Weil die Bücher in der Unterstufe als Arbeitsbücher angelegt sind, in die jeweils die Ergebnisse der Aufgaben eingetragen werden, kann das erste Kind einer Familie seine Schulbücher nicht an die Geschwister weitergeben. Zusätzliche Kosten fallen an, denn das Klassenziel ist kaum ohne Nachhilfestunden zu erreichen. Wegen der miserablen Gehälter sind die Lehrer auf Einnahmen aus Nachhilfestunden oder anderen Zweitjobs angewiesen und haben daher nur geringes Interesse, die Schüler im regulären Unterricht zu fördern – ein Teufelskreis. Seit Jahren wird über dringend nötige Reformen gesprochen, aber nichts geschieht. Nicht von ungefähr hat im Februar das Religionsministerium »Logisches Denken und Wissenschaft« als Thema für die Freitagspredigten verordnet.

Bei alldem hat aber Bildung bei der Bevölkerung einen hohen Stellenwert. Die Familien sind bereit, große Opfer zu bringen, um ihren Kindern gute Bildung zu ermöglichen. So ist eine große Zahl teurer privater Schulen, Sprachschulen und Hochschulen unterschiedlichster Qualität ent­-standen, die jedoch entweder das staatliche System in effizienterer Form praktizieren oder auf Abschlüsse europäischer Länder, der USA oder Japans hinarbeiten. Grundsätzlich neue pädagogische Konzepte sucht man vergebens.

Ein Schulorganismus entsteht

Vor diesem Hintergrund war Ibrahim Abouleish und dem Sekem-Team von Anfang an klar, dass die Zukunft Ägyptens entscheidend von neuen Bildungsimpulsen abhängt. Parallel zum Aufbau der Landwirtschaft und der Wirtschaftsbetriebe entstand auf der Farm ein eigener Schulorganismus. Er umfasst vom Kindergarten an alle Stufen: Schule, Berufsschule, Klassen für Kinder mit Behinderungen, Akademie und als jüngstes Glied die Heliopolis Universität. Als Besonderheit sind die »Kamillekinder« zu nennen. Es sind Kinder aus armen Familien der Umgebung, die zuhause als Mitverdiener gebraucht werden oder aus anderen Gründen keine Schule besuchen können. Sie werden auf der Farm mit leichten Arbeiten wie dem Pflücken von Kamille- oder Arnikablüten beschäftigt und dafür entlohnt, zusätzlich erhalten sie Unterricht in den Grundfächern.

Während in den Kindergartengruppen weitgehend auf der Grundlage der Waldorfpädagogik gearbeitet werden kann, muss sich die Schule in den Rahmen der staatlichen Vorgaben und in das islamische Umfeld einfügen. Besucher aus Europa werden aber lauter vertrauten Elementen aus der Waldorfschule begegnen. So gibt es Epochenunterricht, aber vor allem ist es die ausgeprägte künstlerische und handwerkliche Komponente, die allen Unterricht durchzieht: Musik, Malen, Plastizieren, Rezitation und Drama gehören ebenso dazu, wie Eurythmie und die wöchentliche Schulfeier mit Darbietungen aus den Klassen. Dass die Feier mit einer Koranrezitation beginnt und viele Mädchen ein Kopftuch tragen, wirkt als selbstverständlicher Bestandteil ägyptischen Lebens.

Lehrerfortbildung und Universität

Die Lehrer der Sekem-Schule haben in der Regel die staatliche Ausbildung durchlaufen, nehmen dann aber an der kontinuierlichen Fortbildung in Sekem teil, um die sich insbesondere Evelyne Schindler große Verdienste erworben hat. Sie richtet sich zunächst auf eine Schulung grundlegender Fähigkeiten wie Selbstständigkeit in der Unterrichtsvorbereitung und methodische Effizienz, umfasst aber auch, neben Sprachschulung, die verschiedensten künstlerischen, handwerklichen und allgemeinbildenden Bereiche, darunter die Beschäftigung mit der altägyptischen Kultur, die an Regelschulen sehr im Argen liegt. Die Fortbildung führt zu einem Sekem-Zertifikat für Lehrer und hat einen zwiespältigen Nebeneffekt, da solchermaßen gebildete Lehrer auch von staatlichen Schulen und anderen Einrichtungen gerne übernommen werden. So erfreulich das für die eine Seite ist, so aufwändig ist es für die Sekem-Schule, solche Abwanderungsverluste wieder auszugleichen.

Durchaus erfreulich ist dagegen das Bild bei den abgehenden Schülern und den Absolventen der Sekem-Berufsschule. Sie haben optimale Chancen für ihr berufliches Fortkommen in einem von hoher Arbeitslosigkeit geprägten Umfeld. Inzwischen haben auch die ersten Abiturienten ihr Studium an der Heliopolis Universität und anderen Hochschulen aufgenommen und man darf hoffnungsvoll ihren Beitrag zur Entwicklung Ägyptens erwarten.

Obwohl Sekem als Oase angesehen werden kann, steht es in mannigfaltigen Wechselwirkungen. Kooperationsverträge mit einer ganzen Reihe ägyptischer und internationaler Hochschulen sind im Forschungsbereich bereits wirksam und sollen in Zukunft durch ein Austauschprogramm für Studenten und Dozenten erweitert werden.

Zum Autor: Dr. Bruno Sandkühler war Lehrer an der Michael-Bauer-Schule in Stuttgart und ist als Orientalist seit Jahrzehnten eng mit dem Land und Sekem verbunden.

Links: www.sekem.com | www.hu.edu.eg/interRelations