»Dr. Cooling down«. Die Zukunft braucht soziale Innovationen

Michael Mentzel | Die Fukushima-Katastrophe hat für ein Umdenken in Energiefragen gesorgt. Herr Ulrich, wollen Sie wie Tim Bendzko auch »mal eben die Welt retten«?

Otto Ulrich | Ich bin da nicht ganz so euphorisch. Dieses Umdenken wird in seinen sozialen und kulturellen Dimensionen noch gar nicht richtig ernst und konsequent wahrgenommen. Es herrscht weiterhin technologischer Optimismus. Meine Befürchtung ist, dass es mittels der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz zu einem weiteren, vielleicht etwas saubereren Anstieg des Energieverbrauches kommt. Die Diskussion etwa um leistungsstärkere Stromnetze zeigt dies an.

MM | Was wäre die Alternative?

OU | Es müsste zu Energieeinsparungen kommen, zu einer neuen, wirklich nachhaltigen Kultur der Mäßigung. Doch da will offiziell niemand ran, obwohl wir objektiv gesehen durch die anhaltende Finanzkrise auf dem Weg in eine Suffizienz-Kultur sind, was sich in Griechenland oder Spanien abzeichnet.

MM | Was heißt Suffizienz-Kultur?

OU | Die Griechen und Spanier befinden sich, wenn auch zähneknirschend, im Übergang zu Lebensstilen, die allein zukunftsfähig sein werden: regionale Geldformen und Null-Karbon-Wirtschaft. Vielleicht werden die betroffenen Menschen dann auch wieder glücklicher, weil sie im wahren Leben angekommen sind.

MM | Aber es gibt doch eine Menge Innovationen, Solartechnologie …?

OU | Das soll ja auch nicht bestritten werden. Aber noch einmal: Dahinter steckt immer noch das alte Fortschritts­denken. Es geht nur um technische Neuerungen. Zukunft aber braucht einen nicht-technischen Fortschritt, also soziale Technologien, soziale Innovationen. Denn wir leben längst jenseits der Grenzen des Wachstums. Ressourceneffizienz ist gut, aber nicht ausreichend, Nachhaltigkeit wird noch viel zu wenig als kulturelle Herausforderung gesehen.

MM | Es gibt doch die Weltklima-Konferenzen, internationale Treffen von Politikern, Wissenschaftlern, Symposien …

OU | Diese Konferenzen wie in Durban scheitern, weil keiner der Delegierten je die Chance hatte, unter simulierten Bedingungen zu üben, was es heißt, globale Zukunftsverantwortung zu übernehmen.

MM | Erfinden Sie deswegen solche Spiele wie »Cooling down!«?

OU | Genau!

MM | Glauben Sie ernsthaft, mit Spielen die Welt retten zu können?

OU | Wenn es stimmt, was der niederländische Sozialphilosoph Johan Huizinga schon in den 1930er Jahren gesagt hat, dass der Ursprung aller Kultur im Spiel liegt, ja. 2009 gab es im Auswärtigen Amt in Berlin eine sehr gut besuchte Konferenz zur Klimagerechtigkeit. Die Teilnehmer, Leute vom Fach, hörten sich stundenlang Vorträge an. Als dann »Cooling down!« vorgestellt wurde, kam plötzlich Leben in die Bude. Spiele regen den Menschen an. Dieser spieldidaktische Ansatz – auch »Gamification« genannt – füllt in den USA ganze Konferenzsäle.

MM | Bei diesem Weltklimaspiel geht es nicht darum, etwas zu gewinnen, sondern darum, das Wissen um die regionalen und globalen Zusammenhänge verständlich zu machen. »Cooling Down!« ist ein Brettspiel. Warum gibt es das Spiel nicht als Computerspiel, wenn es besonders junge Menschen ansprechen will?

OU | Mit Klicken allein ist die Welt nicht zu retten. »Cooling down!« ist ein soziales Spiel, das das gemeinsame Gespräch braucht. Es lebt von gemeinsamen Entscheidungen und gegenseitigem Vertrauen; man muss seinen egoistischen Standpunkt permanent überwinden. Genau das braucht die Zukunft: im sozialen Prozess gemeinsam zu Entscheidungen und ins gemeinsame Tun kommen.

MM | Was lernt man sonst noch?

OU | Orientierungs- und Handlungswissen. Es muss zwischen Alternativen gewählt und entschieden werden.

MM | Wie sind Sie bei der Entwicklung des Spiels vorgegangen?

OU | Die realen gesellschaftlichen Probleme, um die es geht – sei es die nachhaltige Abfallwirtschaft, die Abrüstung oder die Energiewende –, fordern, dass wissenschaftliches Wissen in spielbares Wissen umgesetzt wird. Alle Inhalte im Spiel sind wissenschaftlich belegt.

MM | Wie haben Sie herausbekommen, dass das Spiel tatsächlich auch funktioniert?

OU | Mit Schülern, besonders mit Schülern der 11. Klasse der Bonner Waldorfschule. Das waren anstrengende, aber auch lehrreiche Teststunden.

MM | Wurde diese Arbeit unterstützt?

OU | Nein. Gesellschaften, die eine lebenswerte Zukunft haben wollen, brauchen das Neue, das gesteht Dir jeder ohne Weiteres ein. Einrichtungen, die Zukunftsprojekte fördern, fördern aber zumeist nur das Altvertraute, das im Mantel des Neuen daher kommt. Günther Faltin von der FU Berlin hat mir früh gesagt: Halten Sie durch. Sie sind mit Ihrer Spielidee total daneben, vorbildlich unkonventionell, aber genau darum geht es, daraus entsteht der Fortschritt, den die Zukunft braucht.

MM | Und hat Faltin Recht behalten?

OU | Heute ist »Cooling down!« von der UN als internationales Konferenzspiel anerkannt, und auch schon auf einer UN-Konferenz zum Einsatz gekommen. Auf Einladung von Peter Spiegel werde ich auf dem VISION SUMMIT 2012 im Mai in Berlin dabei sein, um eine Bildungsinitiative mitzugestalten, die die »Social Innovation Kultur« durch »Social Games« bereichern wird. Im Rahmen des EU-Programms »Europa für Bürgerinnen und Bürger« helfen wir mit, den fehlenden Bürgerdialog über die Energiewende mit »Cooling down!« europaweit anzustoßen.

MM | Wo wird das Spiel gespielt?

OU | Zum Beispiel an über 500 staatlichen Schulen. Das Spiel bietet zwölf verschiedene Einsatzmöglichkeiten im Oberstufenunterricht. Es ist immer wieder eine wunderbare Erfahrung zu erleben, wie engagierte junge Menschen – zumeist ab der 10. Klasse – mit »Cooling down!« die Welt retten. Die Lehrer gratulieren uns mitunter, wie gut es gelungen sei, ihre Klasse gemeinsam ins Tun zu bekommen. Immer wieder kommen auch Schüler zu mir und bedanken sich dafür, dass es so etwas gibt. Das nenne ich Erfolg!

MM | Wird das Spiel auch an Waldorfschulen gespielt?

OU | Obwohl Rudolf Steiner als Visionär der Nachhaltigkeit angesehen werden kann – die biologisch-dynamische Landwirtschaft ist angewandte Nachhaltigkeit – wartet »Cooling Down!« leider noch darauf, in größerem Stil an Waldorfschulen gespielt zu werden.