Kannitverstan

Mathias Maurer

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Waldorfschüler N. geht auf große Reise. Billigflug Amsterdam. Party ohne Ende ist angesagt, wie letzten Sommer in Llorret de Mar, meistens auf Autopilot, der Mega-Chill-out. Ansonsten kein Plan. Ziemlich vorgeglüht geht’s auf die Piste: Paradiso, Club 11, Panama, Stubnitz ... Er fragt – natürlich auf Deutsch – nach dem Escape, das soll der Hammer sein. »Kannitverstan«, antwortet die Tussie. Klingt Holländisch und nach Straßenname. Fehlanzeige. Er landet im Hafen auf der Stubnitz. Fragt dort ’nen Typ auf ’ner Blaulichtparty: Schon wieder »Kannitverstan«. Wo soll dieses verdammte Kannitverstan sein? – Das Escape in der Rembrandtplein findet er nicht, er will ja nicht ins Museum ...

Der Plot dieser Geschichte ist zweihundert Jahre alt und stammt von Johann Peter Hebel (1809). Auch Axel Hackes bekanntes Handbuch des Verhörens Der weiße Neger Wumbaba (»Der weiße Nebel wunderbar«) lehrt, wie Sprache und Verständnis nicht übereinstimmen müssen und es sich doch ganz gut damit leben lässt. Die nicht nur kindliche Phantasie macht’s möglich.

Im Gottesdienst hört der Achtjährige das Vaterunser. Dort heißt es: »... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern«. Der Junge weiß nicht, was Schuldiger sind. Sein dem süddeutschen Dialekt eingewohntes Ohr hört: »Schuld i gern« und er denkt: »Ich schulde gern«. Es hat noch ein paar Jahre gedauert, bis ihm die gegenteilige Bedeutung aufgehen sollte. Oder ein vierjähriges Mädchen kommt am ersten Tag aus dem Kindergarten. Es ist nicht üblich, dass zu Hause vor dem Mittagessen gebetet wird. Es ist angerichtet, die Teller gefüllt, die Löffel schon auf dem Weg zum Mund, da unterbricht sie bestimmt: »Wir müssen noch beten!« Darauf faltet sie die Hände, neigt den Kopf und spricht mit fester Stimme: »Gesicht in die Mahlzeit«.

Wie lernt man eine Sprache? Wie lernt man sprechen? Indem man eintaucht, »badet« in der Sprache, ohne Furcht vor Fehlleistungen und Originalität. Da ist der Schuhabsatz die »Abverse« und Wasser »Lalch«. Das gilt für die Muttersprache wie die Fremdsprache gleichermaßen. Ein Klangteppich umhüllt das kleine Kind. Es hört, bevor es selbst zu lautieren beginnt. Es ahmt nach, Gesten, Mimik, Töne – immer mit Bewegungen verbunden. Das Verständnis, die Grammatik, die richtige Aussprache kommen erst viel später – und dann wird es oft schwierig.

Es ist wie in der Tanzstunde: Ein Erwachsener lernt den Foxtrott anders als ein Kind, und wenn der Kopf sich zu stark bemerkbar macht und die Schritte nicht aus der Bewegung kommen, verknoten sich nicht nur die Beine. 

Aus der Redaktion grüßt 

Mathias Maurer