Lehrer gut, alles gut

Mathias Maurer

Liebe Leserin, lieber Leser! 

Es war unglaublich. Zehnte Klasse. Französisch. Svens Noten lagen zwischen vier und fünf. Lehrer­wechsel. Ein paar Monate später zwischen zwei und drei. Was war passiert? Der Schüler verstand den Umschlag nicht und der neue Lehrer kannte ihn nicht anders: interessiert, am Unterrichtsgespräch beteiligt, passable Testergebnisse ...

Der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie hat in seiner Mammutstudie »Visible Learning« den Lernerfolg von 250 Millionen Schülern in 50.000 Metastudien ausgewertet. Um diese Masse zu bewältigen, brauchte Hattie 15 Jahre Zeit und der Zahlenelefant gebiert eine Maus an Erkenntnis: Die Lehrerpersönlichkeit entscheidet darüber, wie gut ein Schüler lernt. Dabei weiß jeder, der sich an seine eigene Schulzeit erinnert, wie prägend Lehrer für das ganze Leben sein können – im guten wie im schlechten.

Doch wie entwickelt der Lehrer seine Lehrerpersönlichkeit, wie bildet er sich zu einem Menschen, dem die Schüler gerne folgen in seinen Gedanken, seinen Handlungen und der sie zugleich zur eigenen Freiheit und Selbstständigkeit führt? Wo kann er die Qualitäten lernen, sich als ein in Entwicklung stehender Mensch zu verstehen? Wo kann die unbedingte Liebe zu der Welt und zu den Menschen erlernt werden, auch wenn man sie nicht mag? Und wenn es dafür Seminare gäbe, Lehrerseminare, nicht Meditationskurse, so beschleicht einen doch das Gefühl, dass eine »geliebte Autorität« (Rudolf Steiner) zu sein etwas ist, was einige sind und andere, trotz aller Übung, nicht.

Rudolf Steiner benannte drei wirksame Lernmotive: Furcht, Ehrgeiz und Liebe. Denn Schüler funktionieren auch, wenn sie Leistung bringen müssen, wenn Furcht und Ehrgeiz alles diktieren. Das zeigen die Bildungs-Spitzenreiter Japan und Korea. Dieser Leistungsbegriff arbeitet nur mit Druck und Zwang und der seelische Preis ist hoch. Bleibt das Motiv der Liebe.

Das Motiv der Liebe kann allerdings nur wirksam werden, wenn unser aller Einstellung dazu, was gelernt werden soll, sich ändert. Geforderte, nicht freiwillig geschenkte Leistung beschneidet die Liebe nicht nur der Schüler zu der Welt, sondern auch der Lehrer zu den Schülern. Denn diese stehen unter dem gleichen Druck wie ihr Gegenüber. In solch einem Raum, mit solch einem Wissen kann sich kein freies Verhältnis entwickeln, nicht zu der Welt, nicht zu sich selbst.

Befreien wir als erstes unsere Lehrer von dem Druck, dass ihre Schüler leistungsorientiert lernen. Denn selbst solch eine Studie, wie die von Hattie, hat allein zum Ziel herauszufinden, dass eben durch die besagte Lehrerpersönlichkeit die Schüler lernen und bessere Noten erhalten. Es gilt, alle Lernprozesse von jedweder Abzweckung zu befreien.

Was war also bei Sven passiert? Er erfuhr durch den neuen Lehrer, dass er in seinem Potenzial wahrgenommen und angesprochen wurde. Der anerkennende »liebende Blick« des Lehrers kann bei Schülern Berge versetzen.

Aus der Redaktion grüßt

Mathias Maurer