Wie ernähre ich mein Kind richtig?

Petra Kühne

Essen verbindet mit dem Leben

Essen erhält uns am Leben, Nicht-Essen heißt verhungern. Die Verweigerung des Essens ist ein Rückzug aus dem Leben. Mahlzeiten verbinden uns mit dem Leben. Wenn wir ein freudvolles Leben für die Kinder möchten, sollte auch das Essen mit Freude verbunden sein und nicht mit Zwang. Früher kam es aus Not vor, dass Kinder gezwungen wurden, bestimmte Lebensmittel zu essen. Fragt man Erwachsene, so verweigern nicht wenige bis heute diese Gerichte. Ernährung geht tief in die Seele hinein und ist keineswegs nur ein körperlicher Vorgang. Zwang sollte nicht zum Essen gehören, kein gesundes Kind leidet bei uns Mangel, nur weil es einmal eine Mahlzeit auslässt. Ebenso gibt es keinen Vitaminmangel, wenn bestimmtes Obst und Gemüse nicht gegessen werden.

Vorsicht: Mythen

In den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts war der Fokus der Ernährungswissenschaft auf Mineralstoffe und Vitamine gerichtet. So wurde vor allem die Eisenversorgung thematisiert. Deshalb gab es in der Kinderernährung regelmäßig Spinat – was etliche Kinder ablehnten. Dann stellte sich heraus, dass der Eisengehalt des Spinats zu hoch angegeben war – ein Laborfehler. Man hätte Kindern unan­genehme Erfahrungen, die teilweise lebenslange Ernährungsgewohnheiten prägten, ersparen können. Man spricht in solchen Fällen von »Ernährungsmythen«. Auch die heutige Zeit ist nicht frei davon. Immer wenn konkrete, mengenmäßige Empfehlungen gegeben werden, sollte man aufpassen. Dies sind zum Beispiel heute Trinkmengen oder Portionen an Gemüse und Obst, die täglich verzehrt werden sollen. Viele Eltern machen sich Sorgen, wenn ihr Kind wenig trinkt oder partout kein Gemüse anrührt. Hier sollte man gelassen bleiben. Flüssigkeit kommt nicht nur aus Getränken, sondern aus Suppe, Obst und Gemüse. Dazu ist es wichtig zu differenzieren, ob es sich um ein bewegungsfreudiges Kind handelt, was zudem noch viel schwitzt und einen höheren Flüssigkeitsbedarf hat, oder um einen ruhigen »Stubenhocker«. Dies führt zu der Kernaussage einer anthroposophisch orientierten Ernährung: Empfehlungen sind nur Hilfen, der Bedarf ist immer individuell.

Die Bedürfnisse sind individuell

Ernährung dient dem Menschen zur Versorgung von Körper, Seele und Geist und jeder Mensch ist ein Individuum. So unterscheiden sich auch der Bedarf an Nahrung, Vorlieben und Abneigungen individuell. Es lässt sich an Ernährungsgewohnheiten ablesen, welche Schwerpunkte ein Kind in seiner Konstitution hat, welche Temperamente einwirken. Daher sollte man sein Kind beobachten: Es zeigt, was es braucht und was es nicht mag. Der kleine Choleriker kaut gern, erprobt seinen Willen auch an der Nahrung, während der kleine Phlegmatiker genau dies ablehnt und dafür weiche Lebensmittel mag. So isst auch jedes phlegmatische Kind gern Obst, wenn es geschnitten und appetitlich angerichtet vor ihm steht. Das Hineinbeißen in einen ganzen Apfel wird es nicht mögen – was aber oft genau der Choleriker gerne hat. Individuelle Ernährung heißt also nicht für jedes Familienmitglied extra zu kochen, sondern ein waches Wahrnehmen, Akzeptieren, dass ein Kind von einer Speise mehr isst als von einer anderen.

Es braucht Regeln

Nun könnte man leicht den Schluss ziehen, dass das Kind das essen soll, was es will. Genau das wird heute zum Problem. Bereits im Kleinkindalter wird das Essen zu Hause zum Machtkampf. Das Kind verweigert die »guten« Lebens­mittel. Schließlich lässt man ihm seinen Willen und es kommt zu einseitigem Essverhalten wie »nur Nudeln mit Soße« oder überwiegend Süßes. Aber der Gegensatz von Zwang ist nicht schrankenloses Zulassen. Dies kann auch zu Fehl- und Mangelernährung führen. Wichtig sind gewisse Regeln für die Ernährung, die es in jeder Gemeinschaft und vielen Familien gibt. Es gibt Grundzüge, was und in welcher Qualität eingekauft wird, was generell nicht und was ab und an. Solche Regeln sollten auch eingehalten werden, denn sie vermitteln den Kindern Sicherheit. Dies meint nicht, dass es nicht auch begründete Ausnahmen geben kann, das Leben läuft nicht stur und pedantisch.

Der »Mere Exposure Effekt«

Die Einstellung zur Nahrung ist viel instinktiver, als wir gemeinhin denken. Die Werbepsychologie hat dies längst erkannt und erforscht. So prägt sich eine Vorliebe vielfach erst durch den wiederholten Verzehr aus. Einmaliges Essen ruft noch keine Begeisterung (aber auch keine Ablehnung!) hervor. Wichtig ist, bestimmte Gerichte öfter anzubieten. Dies nennt man »Mere Exposure Effekt«. Er ist bei vielen Grundnahrungsmitteln wie Brot oder Standardgerichten zu finden. Wird ein Lebensmittel aber zu viel angeboten – dies trifft selbst auf Schokolade zu – gibt es das »Überessen«. Wer nur sein Lieblingsessen bekommt, mag es irgendwann für längere Zeit nicht mehr. Dies nennt man »spezifisch-sensorische Sättigung«. Dadurch fällt die Nahrung nicht zu einseitig aus, neue Nahrungsmittel werden akzeptiert. Abneigungen gegen bestimmte Lebensmittel entstehen oft aus einer Koppelung von Verzehr und negativen Erfahrungen, zum Beispiel Erbrechen nach dem Essen. Dies muss gar nicht zusammenhängen, wird aber so erlebt und führt unter Umständen zu jahrelanger Ablehnung. Abneigungen können auch durch körperliche Unverträglichkeiten auftreten, die gar nicht bekannt sind. So kann zum Beispiel eine Fruchtzucker-Malabsorption zur instinktiven Ablehnung von Obst führen. Dies kann man erst seit wenigen Jahren testen. Seltene Bluterkrankungen können dazu führen, dass Fleisch gemieden wird, ohne dass die Zusammenhänge erkannt werden. Diese Beispiele zeigen, dass es auf die individuelle Situation ankommt und nicht auf Umsetzung allgemeiner Empfehlungen.

Wie ernähre ich mich richtig?

Es gibt drei Hauptnährstoffe, die in der Nahrung enthalten sind: Kohlenhydrate, Eiweiß und Fette. Kohlenhydrate werden am meisten gebraucht. Sie sind wichtig für die Nerven- und Gehirntätigkeit sowie zur Muskel- und Stoffwechselversorgung. Zu den Kohlenhydraten zählen Zucker, Stärke (weißes Mehl) und die komplexen Kohlenhydrate (Vollkornmehl), die auch noch Ballast- und andere Begleitstoffe enthalten. Zucker gelangt sehr schnell in den Körper, was zwar rasch Energie bringt, aber auch eine Überlastung des Blutes mit Zucker sowie eine zu kurze Sättigung zur Folge hat. Daher wird empfohlen, einen Großteil der Kohlenhydrate über die komplexen aufzunehmen. Dies bedeutet Vollkornbrot, Getreidespeisen wie Bulgur, Vollkornnudeln, Hirse oder Reis. Helle Mehle enthalten wenig Vitamine und Mineralstoffe und sollten daher in geringerem Maß verzehrt werden: Also nicht täglich helle Brötchen essen! Eiweiß ist wichtig für Wachstum und Erhaltung des Körpers. Es ist in pflanzlichen oder tierischen Lebensmitteln enthalten. Getreide und Vollkornbrot liefern eine Grundversorgung mit Eiweiß, die durch Milch, Milchprodukte und Käse ergänzt wird. Fleisch und Wurst sollten nicht in zu großer Menge verzehrt werden. Zu wenig sind meist die eiweißreichen Hülsenfrüchte vertreten, obwohl Linsen, Erbsen und Bohnen oft gern von Kindern gegessen werden und gut zubereitet und gewürzt auch verträglich sind. Gute Fette gehören ebenso zu einer »richtigen« Kinderernährung: Sie liefern Wärme, Energie und machen zufrieden. Dabei sollten die nativen – kalt gepressten, nicht raffinierten – pflanzlichen Öle wie Sonnenblumen-, Raps- oder Olivenöl an erster Stelle stehen. Die Sorte ist mehr eine geschmackliche Entscheidung. Milchfett ist in Maßen – wie in Vollmilch – durchaus erwünscht und gehört zu den verträglichsten Fetten. Weniger erwünscht sind die »versteckten« Fette in Fertigprodukten, Süßigkeiten oder Fertigdesserts. Manche haben durch die Erhitzung an Wert verloren. Vitamine, Mineralstoffe und sogenannte sekundäre Pflanzenstoffe sind keine Energieträger, werden aber als Wirkstoffe und Aktivatoren gebraucht. Sie sind in Obst und Gemüse wie auch Salaten enthalten. Daher sollte viel Wert darauf gelegt werden, diese Lebensmittel täglich in der Nahrung zu haben. Frische, ausgereifte Ware ist hier angebracht.

Immer wichtiger wird heute die Qualität, die durch Züchtung, Anbau und Verarbeitung entsteht. Hier hat die Forschung viele neue Erkenntnisse erbracht. So verbessert sich die Milchqualität, wenn die Tiere ihr Futter auf der Weide oder Grünfutter erhalten. Empfehlenswert ist der biologisch-dynamische Landbau, der durch die Anwendung biologisch-dynamischer Präparate über die biologische Landwirtschaft hinausgeht und Erde und Pflanzen für die kosmischen Kräfte von Sonne und Planeten empfänglicher macht. Die Produkte werden unter der Bezeichnung »Demeter« verkauft. Ebenso sind Bio-Lebensmittel von anderen Verbänden (Bioland, Naturland) zu empfehlen. Für Kinder ist es schön zu erleben, wo und wie ihre Nahrungsmittel wachsen. Daher ist der Besuch und Einkauf bei regionalen Bauern­höfen eine Bereicherung.

Bei Obst und Gemüse sollte auf saisonale Reifezeiten geachtet werden – wenn man der Tatsache Rechnung trägt, dass manches natürlicherweise nicht verfügbar ist, mindert man nicht nur den Energieverbrauch durch lange Transporte oder Lagerungstechniken, sondern legt auch an, dass einmal auf etwas gewartet werden muss – wie die ersten Erdbeeren – und bekanntlich ist die Wartezeit oft die schönste. So kann eine »richtige« Ernährung gestaltet werden, die Freude macht, sättigt und gut schmeckt.

Zur Autorin: Dr. Petra Kühne ist Ernährungswissenschaftlerin und Leiterin des Arbeitskreis für Ernährungsforschung e.V., Vortrags- und Kurstätigkeit, Buchveröffentlichungen. Arbeitskreis für Ernährungsforschung e.V., Niddastr. 14, D-61118 Bad Vilbel. Tel. 0 61 01/52 18 75, Fax 0 61 01/52 18 86, E-Mail: info@AK-Ernaehrung.de

Link: www.ak-ernaehrung.de

Literatur: Rudolf Steiner: Die gesunde Entwickelung des Menschenwesens. 15. Vortrag: »Die körperliche Erziehung im Besonderen«, GA 303, Dornach 2001