Einer, der den Tod ins Leben zurückholt

Sven Jungtow

»Ich habe keine Angst vor dem Tod – ich möchte nur nicht dabei sein, wenn es passiert.« Treffender als das Bonmot des Schauspielers und Regisseurs Woody Allen kann eine Pointe nicht gesetzt sein: In einer Zeit, in der Sterben und Tod in der westlichen Welt ganz an den Rand des Bewusstseins gedrängt werden, möchte man nicht einmal beim eigenen Dahinscheiden in der Nähe sein. Gestorben wird trotzdem – wenn auch unter anderen Umständen als früher. War Anfang des letzten Jahrhunderts das Sterben im Kreis der Familie Normalität, so ist es heute die Ausnahme. Ausgelagert in Krankenhäuser und Hospize – und nach dem Ableben übernimmt die Bestattungsindustrie den Rest. Die Trauer der Hinterbliebenen wird oft überlagert von Ängsten vor den anstehenden Aufgaben und Formalitäten, der Hilflosigkeit, was denn als nächstes passieren muss und sicher auch in hohem Maße vom Unbehagen im Umgang mit dem Toten.

Der Berliner Bestattungsunternehmer Uller Gscheidel hat es sich zur Aufgabe gemacht, in diesen Situationen Hilfestellung zu leisten, die sich von der üblichen »Entsorgungsmaschinerie« unterscheidet. »Nicht alles muss sofort entschieden werden«, findet Gscheidel. »Oft entstehen Ideen und Vorstellungen über die gewünschte Verabschiedung erst im Lauf der ersten Stunden und Tage nach dem Tod. Ich ermutige Betroffene dazu, diese wichtige und unwiederbringliche Zeit zwischen Tod und Beerdigung aktiv zu nutzen.« Der seit 30 Jahren bekennende Buddhist denkt nicht, dass mit dem Herzstillstand alles vorbei ist.

»Wir gehen davon aus, dass Verstorbene in den ersten Tagen noch in einer für uns nicht mehr wahrnehmbaren Form präsent und vielleicht auch wahrnehmungsfähig sind. Wir begreifen die Zeit bis nach der Bestattung als eine für die Angehörigen schwere, aber auch wertvolle und einzigartige Zeit, in der wir sie dabei unterstützen, ihre eigene Form individueller Verabschiedung zu finden und diesen Prozess selbst zu gestalten.« Ob das Waschen und Kleiden des Toten von den Angehörigen oder lieber von Gscheidel vorgenommen werden soll und welche Kleidung der Verstorbene im Sarg trägt – alles wird von den Hinterbliebenen dann entschieden, wenn sie sich dazu in der Lage sehen.

Gscheidel, Jahrgang 1954, ist Diplom-Pädagoge und gründete sein Bestattungsunternehmen »Charon« 2002 nach Jahren beratender und leitender Tätigkeit im psychosozialen Bereich. Benannt ist es nach einer Gestalt der griechischen Mythologie. Charon ist der Fährmann, der die Seelen aus der Welt der Lebenden mit einem Boot über den Grenzfluss Acheron ins Jenseits geleitet. Gscheidels Gründungsimpuls für sein Unternehmen war der Tod und die Beerdigung seines Vaters. Obwohl diese seriös und professionell abgewickelt wurde, blieb ein ungutes Gefühl zurück: zu unpersönlich und kalt war der Ablauf, zu wenig war auf Befindlichkeit und Wünsche der Familie eingegangen worden.

In seinem Einmann-Unternehmen will Gscheidel es anders machen: »Ich stelle mich als Mensch zur Verfügung – nicht als Institution.« Das beinhaltet zum Beispiel eine tatsächliche 24-Stunden Rufbereitschaft, also keine Umleitung an Anrufbeantworter oder Call-Center und gegebenenfalls auch Hausbesuche mitten in der Nacht. Gscheidel versucht, den Hinterbliebenen, soweit es geht, bei der Verwirklichung ihrer Vorstellungen zu helfen. Ob es sich dabei um die Suche nach einem abgelegenen Platz auf dem Friedhof handelt, der der Familie auch ein Picknick am Grab des Verstorbenen ermöglicht, oder um das Aufstellen einer Buddha-Statue als Gedenkstein für das Grab eines Jugendlichen auf dem christlichen Friedhof: Gscheidel versucht alles, um solche Wünsche zu verwirklichen. Oft genug muss er dabei zwischen den Angehörigen und der Friedhofsverwaltung vermitteln. Dabei ist auch die Bereitschaft, auf sich verändernde Wünsche einzugehen, Programm.

Der Tabuisierung des Todes entgegenzuwirken, darin sieht Gscheidel auch eine pädagogische Aufgabe. Deshalb ist er einverstanden, wenn ihn Schulklassen besuchen. Anlass ist vielleicht der Tod eines Schülers und die oft eintretenden Gefühle von Hilflosigkeit gegenüber dem Tod bei Klassenkameraden und Lehrern. Der Besuch beim Bestatter und die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben und Tod und sicherlich auch die von Gscheidel vermittelte andere Sicht auf die Dinge, können bei der Verarbeitung der Trauer helfen. Je nach Alter der Klassengemeinschaft wird neben ernsten Gesprächen und Fragen für den spielerischen Umgang mit dem Thema dann auch schon mal »Probeliegen« im Sarg veranstaltet.

Tod und Vergänglichkeit und das daraus entstehende Leid sind unvermeidbare menschliche Erfahrungen. Das erlebt Gscheidel in seinem Beruf täglich und sieht seine Arbeit daher als Übung, um Mitgefühl zu entwickeln. Die Grundhaltung, Zustimmung zu entwickeln zu den Dingen, die einem im Leben widerfahren, versucht er, selbst zu erlernen und den Hinterbliebenen in ihrer schwierigen Lebenssituation zu vermitteln.

Leben und Tod gehören für Gscheidel zusammen wie Tag und Nacht. Dies hat eine Analogie in seinem Privatleben: Seine langjährige Lebensgefährtin ist Hebamme und hatte in ihrem Beruf immer wieder mit Kindern zu tun, die tot geboren wurden. Manchmal halten Hebamme und Bestatter zusammen Seminare ab. Titel: Wenn Geburt und Tod zusammenfallen.