Sinnstifterin

Mathias Maurer

Arnhild Beysiegel gibt fast alles her, was sie im Alter an Besitz und Vermögen – wie sie sagt – belastet. Sie schenkte ihr großes Wohn- und Geschäftshaus nebst Mieteinnahmen der Waldorfstiftung und kümmert sich wie eine Mutter um eine ganze Reihe junger Menschen, die auf dem Weg sind, ihr Lebensziel zu finden. »Ich begleite die jungen Leute ein Stück, und wenn sie dann selbstständig sind, werfe ich sie aus dem Nest heraus«, lacht sie.

Sie erzählt von Jimmy, der Waldorfkindergärtner werden will und mit dem sie befreundet ist: »Ich fragte ihn, was er denn im Leben suche. Er antwortete mir, dass er nach Idealen suche. Darauf antwortete ich ihm, dass er die hier auf der Erde, nicht im Himmel findet, und beauftragte ihn, erst einmal Gerümpel hinterm Haus wegzuschaffen und meinen Garten auf Vordermann zu bringen.«

Krieg, Nachkriegszeit und viele Ortswechsel prägten die Kindheit von Arnhild Beysiegel und lehrten sie, weniger an einem festen Ort, als im Seelisch-Geistigen eine Heimat zu suchen. 1976 ist sie mit ihrem Mann nach Südafrika ausgewandert. Dort machten sie eine Arztpraxis auf. Nebenher betrieben sie zusammen ein Weingut. Doch die Apartheid war unerträglich. Nach zwei Jahren kehrten sie zurück nach Deutschland, wo ihr Mann in Esslingen über viele Jahre eine bekannte anthroposophische und homöopathische Praxis führte. »Man verdiente damals als Arzt ganz gut und wir konnten Rücklagen bilden«, bestätigt sie im Rückblick. Ihre Mitarbeit in der Praxis wurde immer wieder durch längere Einsätze andernorts unterbrochen. Sie arbeitete in der Demeter-Landwirtschaft in Kanada und rührte Präparate oder war als »Feuerwehr« in Esslingen, Augsburg, Berlin, Wernstein, Neuwied und Nürtingen als Klassenlehrerin tätig. »Ich glaube, dass ich manchen Sonderschüler in der Klasse halten konnte«, kommentiert sie diese Zeit. Hier taucht das erste Mal ein Lebensmotiv auf, »Sonderlingen« dabei zu helfen, einen Weg in die Gesellschaft zu bahnen.

Die schwere Erkrankung ihres Mannes setzte den Reisen des »Zugvogels« ein Ende. Sie pflegte ihn bis zu seinem Tod. Davor drehten sich viele Gespräche um »Die Seele des Geldes« – ein Buch von Twist Lynne, das dazu auffordert, die Beziehung zum Geld und zum Leben zu verwandeln. Den Beiden war klar: Das, was in einer Generation erworben wurde, muss der Gemeinschaft zurückgegeben werden. Das Ehepaar war kinderlos geblieben.

Nach dem Tod ihres Mannes begann Arnhild Beysiegel junge Menschen direkt zu fördern: eine Heileurythmistin, einen jungen Brasilianer am Jugendseminar, eine Waldorfstudentin aus Tadschikistan und eine aus Deutschland. »Ich spürte, wie meine Unterstützung sie offen macht für ihre Lebensaufgabe. Ich nehme wahr, welche geistigen Impulse in diesen Menschen liegen; sie müssen nur freigelegt werden. Es ist eigentlich ein Drama, an diesem Potenzial vorbeizugehen«, beschreibt Arnhild Beysiegel ihr zentrales Motiv zu helfen, und ergänzt: »Die individuellen Begegnungen sind unbedingt notwendig, um einen Ausgleich zur virtuellen Welt zu schaffen. Doch die Leute, denen ich das alles erzähle, halten mich für verrückt, weil ich nicht an meine Altersabsicherung denke.«

Jetzt ist die siebzigjährige »Fee« altersmäßig an die andere Seite des Lebens gerückt, zieht Bilanz und fragt: »Was geschieht mit meinem Geld und Besitz, wenn ich nicht mehr bin?« Ihr ist klar: Sie möchte selbst bestimmen, was damit geschieht. Deshalb vermacht sie einen guten Teil ihres Vermögens einer Stiftung, die gesellschaftlich »etwas bewegt«. »Man macht sich am Ende des Lebens mehr Gedanken über die Zukunft. Ich glaube, dass es ein tiefes Bedürfnis der Alten ist, für die Zukunft etwas zu bewirken. Das wird mich auch nach meinem Tod mit der Welt verbinden. Und das ist auch ganz im Sinne meines verstorbenen Mannes«, begründet Arnhild Beysiegel ihre Entscheidung.

Während die erdrückende Mehrheit der Forsa-Befragten über 65 nicht ans Schenken denkt, beweist Frau Beysiegel, dass es durchaus persönliche – allerdings unmaterielle – Motive geben kann, in die Zukunft zu investieren.