Troxler, der vielseitige Pädagoge

Andreas Dollfus

Sein Hauptberuf war Arzt. Studiert hat er an der damals berühmten Universität Jena. Zu gleicher Zeit befasste er sich intensiv mit Fragen der menschlichen Erkenntnis in den Naturwissenschaften. Antworten erhielt er beim bekannten, auch in Jena wirkenden Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling (1775-1854). Sie bildeten das Rüstzeug für seine spätere Tätigkeit als Philosophie-Professor an den Universitäten Basel und Bern.

Als Sechsjähriger verlor Ignaz Troxler seinen Vater, der in Beromünster eine Tuch- und Eisenhandlung geführt hatte. Er kam ins Kloster St. Urban zur Weiterbildung; dort arbeitete ein Onkel, der sich seiner annahm und ihn in die Physik, besonders die Elektrizität, einführte. Oft streifte er durch die Natur und erweiterte durch selbstständige Anschauung seinen Horizont. Im Kloster wohnten auch zahlreiche Emigranten aus Frankreich, die infolge der Revolutionswirren geflohen waren. Für ihre Schicksale interessierte sich Troxler sehr. Was die Franzosen über die Ideale der Revolution »Liberté, Egalité, Fraternité« berichteten, weckte bei ihm das Interesse an Geschichte und Politik. Er lernte die französische Sprache ohne Lehrer und Lehrmittel. Er besaß offenbar die Gabe, sich in das fremde Idiom »einzuhören« und den Sinn eines Wortes oder Satzes in der Auseinandersetzung mit den fremden Menschen zu entdecken. »Mit jeder neuen Sprache gewinnst du eine neue Seele« – dieser Sinnspruch Schillers trifft gewiss auch auf Troxler zu.

Begegnung mit Pestalozzi

Der Arzt Dr. Troxler wurde immer wieder gerufen, wo immer er praktizierte. Als 1827 Heinrich Pestalozzi in Brugg im Sterben lag, ließ ihn der behandelnde Arzt kommen. Zwei ganz bedeutende Persönlichkeiten begegneten sich: Pestalozzi konnte auf sein weltbekanntes Lebenswerk zurückblicken, und der um 34 Jahre jüngere Troxler war zu dieser Zeit bereits als Pädagoge in Aarau tätig.

Troxlers Tätigkeit als Lehrer auf der Mittel- und Hochschulstufe, verbunden mit seiner politischen Aktivität, kann man als ein Drama in Akten bezeichnen. Es begann in Luzern, wo er 1819 eine Tätigkeit als Philosophielehrer am Lyzeum übernahm. Mit Begeisterung, die sich auf die Schüler übertrug, ergriff er seine Aufgabe. Sein Pensum umfasste: Logik, Anthropologie, philosophische Sittenlehre, philosophische Rechtslehre, Metaphysik Ästhetik und allgemeine Geschichte. Gleichzeitig befasste sich Troxler mit politischen Fragen und nahm aktiv Stellung dazu. Schon 1814 hatte er den damaligen Umschwung im Sinne der Restauration in Luzern scharf kritisiert. Einige Wochen Haft musste er über sich ergehen lassen. Mit der Schrift »Fürst und Volk« wollte er zeigen, dass selbst in der britischen Monarchie das Volk gegen absolutistisch und tyrannisch regierende Könige zu schützen ist. Er übersetzte Texte der englischen Schriftsteller George Buchanan und John Milton und versah sie mit einem Vorwort. Aus der konservativen Ecke unterstellte man Troxler, er verteidige den Königsmord, worauf er aus seinem Amt entlassen wurde, trotz Protesten seiner Schüler und Freunde.

Aus den Ämtern verjagt

Besser erging es ihm in Aarau, wo er sich 1823 niederließ. Sein Freund, der Wahlschweizer und Philanthrop Heinrich Zschokke (1771-1848) hatte 1819 den Lehrverein Aarau, ein Bildungsinstitut für junge Männer ab dem 18. Lebensjahr, ins Leben gerufen. Es war in diesen Jahren in der Krise, worauf Troxler die Leitung übernahm und sich als Lehrer und Vorsitzender mit voller Kraft im Sinne seiner Ideen einsetzen konnte. In diesen Jahren veröffentlichte er zwei gewichtige Werke: die »Naturlehre des menschlichen Erkennens oder Metaphysik« und die dreibändige »Logik, die Wissenschaft des Denkens und Kritik aller Erkenntnis«. Beide Bücher fanden international Beachtung und ebneten den Weg zum Lehrer auf der Hochschulstufe.

Eine erste Berufung Troxlers als Universitätsprofessor kam aus Basel, wo sein Freund Wilhelm Snell als Rektor amtete. Eine Welle der Begeisterung kam bereits in Aarau auf, wo ehemalige Schüler des Lehrvereins mit Kollegen eine Ovation darbrachten. Am 1. Juni 1830 konnte er in Basel seine Antrittsrede »Über Philosophie – Prinzip, Natur und Studium derselben« vortragen. Das Auditorium war voll besetzt, und bereits für das Jahr 1831 wurde er zum Rektor ernannt und mit einem Fackelzug der Studenten geehrt.

Doch bald wendete sich die Geschichte gegen ihn: In der Basler Landschaft regten sich Kräfte, die die Trennung von der Stadt forderten. Dafür hatte Troxler Verständnis, während die politisch maßgebenden Kreise der Stadt scharfen Widerstand leisteten. Die Spannungen ließen Basel für Troxler zu einem geradezu gefährlichen Ort werden. Im August 1831 musste er die Stadt fluchtartig verlassen. Zum zweiten Mal wurde Troxler von seiner segensreichen Tätigkeit verjagt, weil er sich auch für das politische Geschehen interessiert und die ihm berechtigt erscheinenden Bewegungen unterstützt hatte. Die Politik hatte ins Bildungswesen und damit ins allgemeine Geistesleben eingegriffen.

Der Begriff Anthroposophie wird geboren

Troxler war ein Choleriker und begabter Dialektiker, der in den politischen Auseinandersetzungen oft ins Polemische verfiel. Manche Zeitgenossen, oft solche, die ihm geistig unterlegen waren, ertrugen seine harte Kritik nicht und wurden zu Gegnern. In seinen Schriften setzt sich Troxler oft mit einem fiktiven Gegner auseinander, bevor er seine positiven Beiträge entwickelte. Immerhin konnte er seine politischen Interessen im Aargau weiter verfolgen. 1832 wurde er in den Großen Rat des Kantons Aargau gewählt. Und 1833, als die Trennung der Halbkantone vollzogen war, wurde er mit anderen prominenten Persönlichkeiten Ehrenbürger von Arisdorf im Baselland, in Anerkennung seiner Unterstützung im Kampf um die Unabhängigkeit des Kantons.

Seine Lehrtätigkeit konnte er ab 1834 fortsetzen, als er zum Professor der Philosophie an die neugegründete Universität Bern berufen wurde. Schon früher hatten sich Universitäten um ihn bemüht: 1811 die medizinische Fakultät in Berlin, 1818 die philosophische Fakultät in Bonn. Troxler hatte beide Berufungen abgelehnt, weil er in seinem Vaterland bleiben wollte. Jetzt konnte er fast zwei Jahrzehnte aus voller Kraft wirken. Ihm ging es darum, Anthropologie und Philosophie zu vereinen, und er prägte für diese Vereinigung den Begriff »Anthroposophie«. In diesem Sinne ist er ein Vorläufer von Rudolf Steiner, der mit seiner pädagogischen Menschenkunde einen neuen Impuls ins allgemeine Bildungswesen brachte. Die Forderung, Anthropologie und Philosophie müssten vereinigt werden, sprach Troxler in seiner Antrittsrede an der Universität Basel deutlich aus, ohne den Begriff Anthroposophie zu verwenden. In seinem ersten größeren Werk »Blicke in das Wesen des Menschen« (1812) sprach er konkret über die beiden Gebiete, ebenso in seinen Vorlesungen in der Universität Bern. In seinem weiteren größeren Werk »Naturlehre des menschlichen Erkennens oder Metaphysik« (1828) verwendete er den Begriff »Anthroposophie«.

Zum Autor: Andreas Dollfus ist 1929 in Zürich geboren. Er besuchte dort die Rudolf Steiner-Schule und das Realgymnasium. An der Eidgenössischen Technischen Hochschule erwarb er den Titel Dipl. Masching. ETH, arbeitete einige Jahre in der Industrie und trat 1958 ins Kollegium der Rudolf Steiner-Schule ein. 1983 wechselte er erneut in die Industrie bis zu seiner Pensionierung 1994. Er war Mitglied der Rudolf Steiner-Nachlassverwaltung, wirkte im Vorstand der Anthroposophischen Vereinigung in der Schweiz sowie im Vorstand der heilpädagogischen Tagesschule Rafaelschule mit.

Hinweis: Am 19. Mai und am 24. September finden zum Troxler-Gedenkjahr Veranstaltungen statt. Näheres entnehmen Sie bitte der Netzseite zum Gedenkjahr.