Vom Starfighter-Piloten zum Gärtner der Phantasie. Vorhang auf für Eckehard Waldow

Henning Kullak-Ublick

Eckehard Waldow kam 1951 in Wilhelmshaven als Gärtnersohn zur Welt. Mit siebzehn machte er sein Abitur und hatte nur den einen Wunsch: Weg hier, und zwar schnell! Schnell schien damals vor allem ein Starfighter zu sein und so verpflichtete er sich für zwölf Jahre als Pilot bei der Luftwaffe, wo er nach einem dreiviertel Jahr schwer erkrankte und ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Die plötzliche Zäsur bewirkte, dass er zu dem Entschluss kam, seine militärische Laufbahn zu beenden und den Kriegsdienst zu verweigern. Damals war das noch mit einer umfassenden Gewissensprüfung verbunden, was für einen freiwilligen Starfighter-Piloten nicht eben leicht zu begründen war und ihn durch alle Instanzen bis vor das Bundesverwaltungsgericht führte. Schließlich gelang es ihm und er ging für drei Monate in ein Kinderkrankenhaus auf Norderney.

»Das war«, so erzählt er, »zu meinem ersten Mondknoten«, also zu dem Zeitpunkt, wo die Schnittpunkte der Sonnen- und der Mondbahn im Tierkreis an der gleichen Stelle wie bei der Geburt stehen. Diese Konstellation, die sich alle 18 Jahre, 7 Monate und 9 Tage wiederholt, gilt Astrologen als Zeitpunkt, an dem die eigenen biografischen Impulse besonders deutlich hervortreten.

Eckehard Waldow entdeckte in Norderney seine Liebe zur Pädagogik und zog nach Hamburg, um dort Pädagogik und Germanistik zu studieren. Bei einem Faust-Seminar wurde er auf Rudolf Steiner und dessen Veröffentlichungen zum »Faust« aufmerksam, lernte eine anthroposophische Studentengruppe und Helmut Eller kennen und besuchte nach dem 2. Staatsexamen das Stuttgarter Lehrerseminar, wo er bei Ernst-Michael Kranich, Stefan Leber und Wolfgang Schad studierte. »Die theoretische Qualität des Studiums war hoch, aber ich vermisste den methodisch-didaktischen Bezug zur Schulpraxis«,  sagt er rückblickend. 1979 ging er als Klassenlehrer an die noch ganz junge Waldorfschule in Hamburg-Bergstedt, wurde bald an das neu gegründete Hamburger Waldorflehrerseminar berufen, gab Seminare an der Universität und vertrat die Schule als Delegierter bei den Bundesversammlungen.

Nach einem achtjährigen Durchgang als Klassenlehrer stand biografisch ein Ortswechsel an. »Das war zu meinem zweiten Mondknoten, also mit 36 Jahren.« Stefan Leber schickte ihn nach Kempten im Allgäu, um dort eine »Gegenschule« zu der von einem umstrittenen »Guru« geleiteten Schule zu unterstützen. Das Experiment scheiterte, woraufhin er seine eigenen Kinder auf eine staatliche Schule schickte. Diese Entscheidung war die Geburtsstunde von Vorhang auf: »1989 begann ich, weil ich vor Ort nicht als Waldorflehrer arbeiten konnte, damit, meine Pädagogik mit der Post zu verschicken.«

Gefragt, was ihm das Wichtigste bei der Herausgabe von Vorhang auf ist, antwortet er: »Willkommen im Garten der Phantasie!« Schon im Studium erkannte er, dass die Phantasie die Hauptkraft in unserem Leben ist. »Die Frage ist immer, wie Kinder ihre Phantasiekräfte verstärken können, um damit ihr Leben zu gestalten. Wir sind eigentlich eine Kraft, eine Energie, die sich konzentriert. Diese Kraft kennenzulernen, geht über Überraschungseffekte, die nicht nur den Kopf, sondern auch das Gefühl und den Willen rege machen. Darüber gewinnt man Zugang zur eigenen Biografie.«

Jedes Heft hat ein Thema, wie der Epochenunterricht. Die Themen kommen aus ganz unterschiedlichen Quellen, dem Bild einer Malerin, der Frage eines Kindes oder einer eigenen Idee. Dann folgt eine ausführliche Recherche, Bücher werden gelesen, Aufträge an Künstler vergeben, »dann fällt plötzlich alles an seinen Platz und man muss loslassen«.

Mit geliehenen 10.000 DM Startkapital druckte er 1989 10.000 Zeitschriften und verschickte sie an alle Waldorfschulen. Langsam, aber stetig stieg die Zahl der Abonnements bis auf 6.000 Stück in den besten Zeiten an, heute sind es 4.000. »Es ging immer irgendwie«, sagt Eckehard Waldow, »aber unsere Leser wachsen eben raus. Man muss laufend neue Leser gewinnen.« Als es einmal gar nicht mehr ging, bekam er plötzlich eine Postkarte einer Leserin mit der Frage: »Brauchen Sie Geld?« Er schrieb zurück: »Ja!« und bekam 20.000 DM.

Neue Wege

2013 erforderte eine Krankheit eine schwere Operation und Waldow merkte, dass er etwas ändern musste. »Diese Schwellen – einschließlich der Krankheiten – erzeuge, vom höheren Blickwinkel betrachtet, immer ich selbst«, sagt er. »Was von außen kommt, kommt letztlich doch von innen. Erst wenn ich bereit bin, voll zu akzeptieren, was von außen kommt, bin ich auch bereit, Verantwortung zu übernehmen.«

Statt Vorhang auf einzustellen, entschloss er sich, einen ganz neuen Weg zu gehen. Deshalb stellte er zum Herbst dieses Jahres eine Redakteurin und eine Marketing-Fachfrau ein und übergab das Layout an einen Fachmann. »Nachdem ich 25 Jahre lang alles selbst gemacht habe, kann ich endlich loslassen, wichtige Arbeiten den Profis über­lassen und mich auf die eigentlichen ideellen Impulse von Vorhang auf konzentrieren.« Die gewonnenen Freiräume will Waldow zum Bücherschreiben, für Seminare und andere Kulturimpulse nutzen. Dass die Erziehungskunst fünfundzwanzig Jahre, nachdem er erstmals angefragt hatte, ob sie einmal über Vorhang auf berichten könne, jetzt mit der Bitte auf ihn zugekommen ist, die Kinderseiten in der Heftmitte zu gestalten, freut ihn sehr.

Heute, zurück in Hamburg, bleibt Vorhang auf auch weiterhin sein Kind, das er zusammen mit Künstlerinnen aus ganz Deutschland betreut. Nachdem wir viele Exemplare dieser außergewöhnlichen Zeitschrift für die Kinder der ersten fünf Schuljahre in der Hand gehalten hatten, fragte ich mich, warum ich eigentlich niemals auf die Idee gekommen war, sie als Klassensatz für meine Schüler zu bestellen. Sie ist ein wunderbares Lesebuch, das sich jedes Vierteljahr erneuert. Aber vielleicht kommen ja andere Klassenlehrer auf die Idee …