Vorbeugen ist besser als Heilen

Susanne Schöninger, Franz Lang

Susanne Schöninger | Herr Lang, wie wird man Förder­lehrer?

Franz Lang | Da gibt es verschiedene Wege. Bei mir sah das so aus, dass ich zunächst eine staatliche Lehrerausbildung in Wien absolvierte. Später ging ich in die heilpädagogische Camphill-Einrichtung »Brachenreuthe« in Überlingen am Bodensee, wo ich eine praktische Grundausbildung zum Heilpädagogen begann, die ich in Bad Boll, am Rudolf-Steiner-Seminar für Heilpädagogik, abschloss. Während meiner Überlinger Zeit wurde ich an der Heimsonderschule auch als Lehrer eingesetzt. Das war für meine heutige Tätig­keit insofern eine interessante Erfahrung, als ich dort die Störungen, die hier an der Schule ganz leicht und oft nur temporär auftreten, in pathologischer Form kennen lernte. Es folgten Stationen an der Waldorfschule Ulm und an der Heimsonderschule Hepsisau als Musiklehrer. Zugleich arbeitete ich freiberuflich als Heilpädagoge in Gemeinschaft mit einem Kinder- und Jugendpsychiater. Meine beruflichen Erfahrungen basieren also auf zwei Bereichen, dem des Lehrers und dem des Heilpädagogen – die Kombination beider ist ideal für einen Förderlehrer.

SSch | Ist ein Förderlehrer denn ein Therapeut?

FL | Ich bin kein Therapeut, der Krankheiten behandelt. Nicht die Pathologie, sondern die Salutogenese (wörtlich: der Ursprung von Gesundheit) ist mein Aufgabenbereich. Mein Anliegen ist es, vorzubeugen, damit drohende und absehbare Störungen und Krankheiten gar nicht erst entstehen. Wir, das Kollegium an der Waldorfschule, sollen gemeinsam Entwicklungshemmungen bei den Kindern erkennen und helfen, sie abzubauen. Dafür stehen uns an der Waldorfschule neben pädagogischen Mitteln auch spezielle, aus der anthroposophischen Forschung entwickelte Heil- und Fördermethoden zur Verfügung. So ist die Heileurythmie seit Anbeginn ein begleitendes Instrumentarium an unseren Schulen, und mittlerweile hat sich auch der Förderunterricht fast überall durchgesetzt. Ich meine, dass dieser Bereich noch ausbaufähig ist. Der präventiv-heilende Ansatz ergibt sich aus dem waldorfpädagogischen Menschenbild.

SSch | Welche Kinder können Förderung in Anspruch nehmen?

FL | Ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten, kann sich dies auf ganz unterschiedliche Weise bemerkbar machen. Ein Schüler kann unter Konzentrationsstörungen leiden, eine Lese-Rechtschreib- oder Rechenschwäche zeigen oder Schwierigkeiten im sozialen Miteinander. Motorische Auffälligkeiten können auftreten. Der Förderunterricht richtet sich an alle, die eine Einzelzuwendung wünschen. Denkbar ist auch, dass ein Kind mit Hochbegabung über eine gewisse Zeit stundenweise einen Einzellehrer braucht.

SSch | Wie entsteht der Kontakt?

FL | Die Anfrage kann sowohl von Lehrer- als auch von Elternseite kommen. Meistens bitten mich Lehrer, ein Kind in der Klasse anzusehen, aber auch Eltern können mich über den Klassenlehrer oder direkt ansprechen. Übrigens ist es auch möglich, dass Eltern eine Beratungsstunde in Anspruch nehmen.

SSch | Und wie gehen Sie vor?

FL | Nehmen wir einmal an, ein Kind kommt zu mir, weil ich nachschauen soll, ob bei ihm eine Lese-Rechtschreibschwäche vorliegt. Dann ist es erst einmal wichtig, herauszufinden, woher die Schreib- und Leseschwierigkeiten stammen. Gibt es ein Problem im Aufnehmen und Verarbeiten von Gehörtem? Ist es das, was man eine »auditive Wahrnehmungsstörung« nennt? Oder liegen die Schwierigkeiten eher im Visuellen oder im Motorischen? Welcher Sinnes­bezirk dominiert, welcher ist noch nicht genügend entfaltet und braucht eine Förderung? Der andere Aspekt ist das Seelische. Woher kommt dieses Zaudern jedes Mal, wenn es ans Lesen oder Schreiben geht? Hat das soziale Gründe, sind temporäre Veränderungen der Auslöser oder ist das schon immer so gewesen? Ich habe die Möglichkeit, individual-diagnostisch vorzugehen und meinen Unterricht darauf abzustimmen. Das ist für mich das Interessante an meinem Beruf.

SSch | Welchen Zeitrahmen umfasst die Förderung?

FL | Im Regelfall einige Wochen, in Ausnahmen bis zu einem Jahr. Wenn eine längere Unterstützung notwendig ist oder eine fortlaufende therapeutische Behandlung sinnvoll wäre, sind uns Grenzen gesetzt. Dann empfehle ich, Einrichtungen wie das »Therapeutikum am Kräherwald« zu nutzen. Dort gibt es Kunsttherapie, Musiktherapie, Heilpädagogik, Heileurythmie, Sprachtherapie und Legastheniebehandlung.

SSch | Tauschen Sie sich mit Ihren Kollegen aus?

FL | Zum einen gibt es innerhalb unserer Schule einen interdisziplinären Dialog zwischen den Therapeuten und Lehrern. Darüber hinaus arbeiten wir mit Kollegen im Therapeutikum zusammen, auch mit schulfremden Ärzten und Psychologen. Während die Angebote im Therapeutikum über die Krankenkassen abgerechnet oder privat bezahlt werden müssen, ist die Unterstützung hier an der Schule eine kostenfreie Leistung, die allerdings nicht von der Schule getragen wird.

Ich arbeite freiberuflich und werde allein durch den »Förderverein für unterstützende Pädagogik e.V.« finanziert. Es gab schon Überlegungen, die Eltern zuzahlen zu lassen, deren Kinder schon einmal in den Genuss des Förderunter­richts kamen. Aber wir haben dies nicht zur Bedingung gemacht. Allerdings könnte dies ein guter Anlass sein, Mitglied zu werden. Es wäre eine wertvolle Unterstützung, wenn möglichst viele Eltern dem Förderverein beiträten.