Höchster Alarm

Hans Hutzel

Waren Sie schon einmal in einer Eurythmieschule? Zum Beispiel in Berlin. Die Lage im Westen der Stadt ist historisch bedingt, als West-Berlin noch eine Insel war. Ein Inseldasein führt die Schule bis heute. Dabei ist Berlin mittlerweile Hauptstadt. Da soll es nach hundert Jahren nur eine kleine Eurythmieschule geben? Da müsste doch mehr möglich sein! Sinnbild ist ein Schild, das auffordert, wenn es brennt, die Trillerpfeife zu nutzen, da kein Geld für andere Brandverhütungsmaßnahmen vorhanden war. Aber nicht nur in Berlin, auch an vielen anderen Standorten hat die Eurythmie bis heute einen isolierten Status.

Die Waldorfschulen haben die finanzielle Misere der Eurythmieschulen erkannt und auf der Mitgliederversammlung des Bundes der Freien Waldorfschulen mit be- eindruckender Mehrheit eine deutliche Erhöhung der Bezuschussung von sechzig auf neunzig Prozent beschlossen. Die Schulbewegung hat klug entschieden und die Zuschüsse nicht an Bedingungen oder Forderungen geknüpft.

Nicht nur der bauliche Zustand mancher Eurythmieschule ist beklagenswert. Die Einkommenssituation der Dozentinnen und Dozenten ist bedrohlich schlecht und angesichts ihres überaus großen Engagements völlig unangemessen. Die aktuell Tätigen scheinen sich mit den niedrigen Gehältern arrangiert zu haben, doch eine attraktive Zukunft ist damit nicht zu gestalten.

Durch die erhöhte Bezuschussung soll sich das ändern. Denn ohne eine grundständige künstlerische Ausbildung wird das Waldorfschulfach Eurythmie verschwinden. Die Eigenständigkeit dieser Kunstform wird nur sichtbar, wenn es ausführende Künstler gibt, die durch ihr professionelles Können überzeugen und ihre Kunst selbstbewusst mit hoher Qualität in der Öffentlichkeit darstellen können.

Weg von der Insel

Erster Schritt: Weg vom Inseldasein, wo man sich irgendwo zwischen Gemütlichkeit, Selbstaufopferung und Askese eingerichtet hat. Es gilt: Hineinzuspringen in die künstlerische Auseinandersetzung auf dem (Tanz-)Parkett! Die verschiedenen Eurythmieschulen sollen ihre jeweiligen Besonderheiten zeigen und am durchaus konkurrierenden Konzert mit anderen eurythmischen Richtungen und anderen Künsten teilnehmen. Nur der Eurythmist, der ein Könner ist und sein Können präsentieren kann, wird die Schüler von diesem Fach überzeugen können und vielleicht so befeuern, dass deren Berufsfindung beeinflusst wird. Reinhard Wegener, Schüler, Dozent und langjähriges Vorstandsmitglied der Berliner Schule sagt: »Der schöne Glanz der Eurythmie muss sichtbar bleiben« – vielleicht muss er erst wieder erlebbar werden.

Die Ausbildungsorte sollen ermutigt werden, nach außen in die Öffentlichkeit zu treten. Dazu bedarf es einer ausreichenden Größe, einer engagierten Dozentenschaft und der Hoffnung auf eine Zukunft der Schule. Wer würde freiwillig auf einer untergehenden Insel seine Zelte aufschlagen, wenn sie oder er in anderen Bereichen der Kunst Land gewinnen kann? Ausdrücklich bedeutet dies nicht eine Verteilung der zusätzlichen Finanzmittel auf möglichst viele Orte und damit für den einzelnen nur eine graduelle Verbesserung. Es bedeutet, dort Geld für eine Zukunft zu geben, wo sich genügend Menschen zusammenfinden, die diese Zukunft ergreifen. Die bisherigen Finanzierungseckpunkte der Bezuschussung bleiben bestehen: eine ausreichende Größe, eine ausreichende Anzahl von Studierenden und ein Kollegium, das in der Welt steht. Diese Bedingungen sind bei den aktuell in Deutschland noch existierenden Schulen vorhanden. Es braucht jedoch mehr als Geld: Die Bereitschaft, sich mit dieser Kunst zu zeigen und nicht hinter verschlossenen Türen zu verstecken.

Die Waldorfschul-Kollegien müssen sich die Bedeutung des Alleinstellungsmerkmals »Eurythmie« bewusst machen. Wie binden die Schulen die Eurythmie überzeugend in das Gefüge der Fächer und Künste ein und wie gelingt es den Kollegen, diese Qualitäten zu verknüpfen und zu nutzen?

Wenn jetzt nicht die Trillerpfeife schrillt, brennen weitere Ausbildungsorte aus und bald wäre es dann zu spät. Also höchste Alarmstufe!

Übrigens: Reinhard Wegener berichtet, es gebe seit dem Beschluss der Mitgliederversammlung endlich Geld für ein Brandschutzkonzept an der Berliner Eurythmieschule.

Zum Autor: Hans Hutzel leitet die Emil Molt Akademie in Berlin und ist im Vorstand des Bundes der Freien Waldorfschulen in Stuttgart tätig.

LEBEN TANZEN

ist das Motto einer neuen Kampagne, die neben der Schönheit und Vielfalt der Eurythmie auch ihre große Bedeutung für die Entwicklung junger Menschen zeigt – und wie wichtig es ist, dass auch in Zukunft begeisterte und begeisternde Eurythmielehrerinnen und -lehrer die Waldorfschulen bewegen. Übersichtlich, mit selbstbewussten Texten und kraftvollen Bildern werden Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten gezeigt und konkrete Informationen gegeben.

Ab sofort, z.B. hier: www.lebentanzen.de