Die Ringgeister

Ute Hallaschka

Aktuell läuft der Hobbit im Kino, beinah zehn Jahre nach dem Herr der Ringe Epos, wird dessen Vorgeschichte erzählt. Das ist neuerdings üblich im Filmbetrieb. Sogenannte Prequels zeigen das zeitlich frühere Ereignis in Rückschau. Von Star Wars, Batman, bis kürzlich sogar James Bond und nun also die Tolkien Gestalten – wir erfahren wie die Helden wurden, was sie sind. Damit wird die Fiktion des Dokumentarischen erzeugt. Als ob der Zuschauer die eigene imaginative Vergangenheit besichtigen könnte. Sieh da, die gemütliche Hobbithöhle, das Auenland, so sah das alles vor zehn Jahren schon aus und da die Hobbitgeschichte 60 Jahre vor der Ringsaga spielt, wird uns suggeriert, wir hätten die Zeit überholt. Wir wären quasi dabei, ursprünglich die Bilder entstehen zu sehen, die wir vor einem Jahrzehnt im Kino vorgefunden haben. Das ist natürlich nicht wahr und so wird die Phantasie des Zuschauers unmerklich unterlaufen und korrumpiert. Was auf den ersten Blick als geistreiche Entwicklung der Filmkunst erscheinen könnte – Stichwort: meditatives Rückerinnern – das ist in Wirklichkeit eine Illusion.

Vor zehn Jahren gelang es dem Regisseur Peter Jackson, Urbilder für den phantastischen Stoff der Tolkien-Trilogie zu finden. Filmbilder, in denen die Sprachbildungen Tolkiens so adäquat und konzentriert umgesetzt schienen, dass das Märchen wahr wurde: die individuelle Phantasie des Lesers erlebte sich geborgen, angesprochen, angeregt. Dies gilt für erwachsene Zuschauer, denn bereits die Herr der Ringe Filmtrilogie verfügt über genügend brachiale Schlachtszenen, die dem kindlichen Gemüt kaum bekömmlich sind. Dennoch war das allzu körperlich vorgeführte Metzeln in der Ringgeschichte eingebettet in den archaischen Kampf des Guten mit dem Bösen und insofern erträglich. Es löste sich im Kontext, so wie es in Märchen eben ist, in denen das Gute am Ende siegt. Gute Spielfilme leisten für den Erwachsenen, der ihre Machart durchschaut, durchaus dasselbe wie eine Märchenerzählung früherer Zeit, sie inspirieren und vitalisieren die Seele.

Aber man darf nicht vergessen, dass es eigentlich  Kinder und Jugendbücher sind, die Tolkien geschrieben hat. Die literarische Vorlage entstand in gewöhnlicher Zeitfolge. Aus der kleinen Anfangserzählung des Hobbit  als künstlerische Inspiration, entfaltete sich später organisch das umfangreiche Ringepos. Das Kunstwerk der Erzählung, die Verfahrensweise des Künstlerischen selbst  wurzelt in der Zeitlosigkeit. Woher bezieht der Autor seine Gestalten, woraus entbindet er sie, die noch Jahrhunderte nach ihm Gültigkeit haben – wenn nicht aus der Ewigkeit zukünftiger Entwicklung. Kunst ist eine prozessuale Verfahrensweise im Umgang mit der unsichtbaren Welt des Ätherischen. Hier urständet Tolkiens Einbildungskraft und Peter Jacksons Filmbilder schienen ihm in der Ringtrilogie zu folgen.

Das ist in der Hobbitverfilmung leider nicht der Fall. Hier kommt es zum Sündenfall der Machtmittel, der künstlerisch immer dann eintritt, wenn einer sich auf die Potenz der eigenen Vergangenheit bezieht. Das  Mittel, das der Regisseur anwendet, um seine Einbildung von gestern zu steigern und zu überbieten, ist ein wahrhaft brutaler Einsatz der Technik. Eine ganz neue 3D-Technik sorgt dafür, dass dem Zuschauer hören und sehen vergeht. Es grenzt an Körperverletzung, was diese Technik an sinnlicher Gewalt zufügt. Dem Zuschauer, der im guten Glauben an die Wiederholung des Märchenhaften kommt, werden Bilder ins Gesicht geschleudert. Sie transportieren fast ausschließlich Gewalt und Hässlichkeit und das über einen Zeitraum von fast drei Stunden. Hin und wieder, zwischen den endlosen Gemetzeln, den abgeschlagenen Gliedern und rinnenden Körperflüssigkeiten, wie Zitate ein paar Minuten Elbenidylle, als Erholungspause.

Was der Zuschauer so real seelisch erlebt, ist die Demontage des Idealen, das er sich vor einem Jahrzehnt einbilden konnte. Diese Enttäuschung kann uns nachhaltig daran erinnern, dass es eine Selbstverantwortung der eigenen Phantasie gegenüber gibt. Wer seine moralische Phantasiekraft nicht schädigen möchte, der sollte diesen Film meiden. Auf keinen Fall sollten ihn Kinder sehen. Peter Jackson aber, so scheint es, hat der Ring der Macht eingeholt.