Guten Morgen, liebe Zukunft

Ute Hallaschka

Das bayerische Fernsehen begleitet in einer Langzeitdokumentation eine Waldorfklasse.

Mitten in der Nacht, wenn kein anständiger Anthroposoph mehr wach ist, schalte ich den Fernseher ein, auf Bayern drei. Heute lass‘ ich die Engel mal sausen. Ich versuche zu sehen, was einer sieht, der sich für Waldorfpädagogik interessiert, ohne allzu viel von ihr zu wissen. »Guten Morgen, liebe Kinder« ist der erste Teil einer filmischen Langzeitdokumentation über eine Waldorfklasse in Landsberg/Lech.

Die Filmemacher verzichten auf jeden Kommentar aus dem Off, Kamera und Filmteam begleiten die Kinder einfach in ihrem schulischen Alltag. Alles ist inmitten des Geschehens, auch die Interviewteile mit der Klassenlehrerin sind so gehalten, dass sie nicht herausfallen. Es ist ein Gespräch, das die Frage ausspart und nur die Antworten wiedergibt; dennoch wirkt es überhaupt nicht monologisch. Das Selbstgespräch der Lehrerin wird für den Zuschauer zum lebendigen Dialog mit den Kindern. Hier sieht man: Diese Lehrerin lebt offensichtlich in dem, was sie sagt.

Der Film beeindruckt durch die Unmittelbarkeit der Darstellung. Die Kinder und ihre Lehrerin agieren so unbefangen, als wäre kein Beobachter anwesend. Ob die Kamera nun die Totale einnimmt, oder ganz nah an ein Kindergesicht heran fährt – alle bleiben scheinbar ganz unbeeindruckt davon. Manchmal laufen die Kinder direkt auf die Kamera zu und halten ihr etwas entgegen, beiläufig, als wollten sie einem Banknachbarn etwas zeigen.

Man sieht über drei Jahre, wie die Kinder lernen – lesen, schreiben, rechnen, handwerken, sich entwickeln – und was man dabei in der eigenen Seele erfährt, ist so, dass man heulen könnte: soviel Liebe! Soviel Liebe und Aufmerksamkeit und innige pädagogische Fürsorglichkeit erscheint in diesem Wachstumsprozess – sichtlich.

Es sind die Gesichter der Kinder, die bald jede Skepsis zum Schweigen bringen. Wer in diese offenen Augen schaut, die Präsenz und Geistesgegenwart der Kinder wahrnimmt, ihr unbefangenes, sich geradezu leiblich mitteilendes Interesse, ihre Individualität und Fähigkeit,  der kann nicht anders, als sich diese Schulform zu wünschen. Dabei werden keineswegs Konfliktszenen und Autoritätsfragen ausgespart.

Wir sehen eine Pädagogin als Respektperson, die einmal kein Opfer ist. Nicht ein strapazierter Märtyrer an der Schulfront, sondern ein Mensch voller Freude und Hingabe. Aber auch das wird deutlich, dass diese Hingabe den Einsatz der Lebenskräfte kostet. Nur ein einziges Mal wirkt diese Lehrerin unsicher und bezeichnenderweise ist es ein Elternabend. Man darf gespannt sein auf die Fortsetzung dieser außergewöhnlichen Dokumentation. In diesem Fall sind vermutlich selbst die Engel einverstanden, dass man Fernsehen guckt.

Guten Morgen, liebe Kinder. Die ersten drei Jahre in der Waldorfschule. Dokumentarfilm von Maria Knilli. 90 Min. Bayerischer Rundfunk 2010; Erstsendung am 21. September 2010; auch auf DVD erhältlich. Bestellungen über die Homepage zum Film: www.guten-morgen-liebe-kinder.de