Königliches Menschenbild

Ute Hallaschka

Die Szene gehört zu den Schlussbildern des Films »The King’s Speech« von Tom Hooper: Da steht der König (Colin Firth) und muss eine öffentliche Rede halten – in seinem Fall natürlich per Radio an die Nation – und was der Kinozuschauer sieht, das erinnert an die Monats­feier in der Waldorfschule, denn dem König gegenüber steht sein Sprachlehrer, der alles gestisch begleitet und mit Handbewegungen dirigiert.

Wieder einmal überholt so der Zeitgeist die Kritik an einer anthroposophischen Praxis. Der dirigierte Schülervortrag wurde oft als Sinnbild benutzt für die angebliche Unselbstständigkeit und buchstäbliche Bevormundung von Waldorfschülern. Die filmische Szene zeigt: das Gegenteil ist der Fall. Es geht um Hilfestellung und Begleitung, die dafür sorgt, dass der Mensch sich selbst aussprechen kann, dass alles, was ihn daran hindert, beiseite geschafft wird, dass er gegen alle Widerstände des Lebens und Schicksals die Kraft findet, sich als Person zu artikulieren. Dazu braucht jeder Mensch Unterstützung.

Im Film sieht das so aus: Kronprinz Albert, der Vater der jetzigen Queen Elizabeth, gelangt 1936 auf den englischen Thron. Doch der König hat ein schweres Handicap: er stottert, und unter Druck versagt ihm gänzlich die Stimme. Der mit vier Oscars prämierte Film zeigt nun nichts anderes, als wie der König zu seinem Therapeuten findet, der ihn mit Sprach- und Menschenliebe heilt.

Aber was die beiden Protagonisten in den rund zwei Stunden miteinander erleben und erleiden, das ist so atemberaubend spannend, so innig und anrührend dargestellt, dass es dem Kinopublikum wirklich unter die Haut geht. Man hält unwillkürlich die Luft an, wenn dem König die Worte in der Kehle stecken bleiben, wenn er sich quält, Sprache hervorzubringen. Großes Theater im Kino, das ist selten und schön. Am Ende wird nachvollziehbar, wieso gerade dieser Redner die Briten zur Einigkeit im Widerstand gegen Hitler aufrufen konnte. Wer die Kraft kennt, die zur Überwindung von Zwängen führt, der kann selbstbewusst für Menschenwürde und Freiheit, für Humanität einstehen. Diese souveräne Menschenbild hinterlässt der Film. 

The King’s Speech – Die Rede des Königs. Historienfilm, 118 Min., Regie Tom Hooper, FSK: 0, Senator Verleih, Großbritannien/Australien 2010