Tribute von Panem

Ute Hallaschka

Geprüft wird, ob Liebe und Freiheit sich als wahrhaftig erweisen, als standhaft in der Auseinandersetzung mit dem Bösen. Denn die Liebe ist alles, was wir haben, um der Realität zu begegnen – sie zu verändern, ist unsere Freiheit.

Panem, der Überwachungs-Staat – von einer Machtelite beherrscht und in zwölf Distrikte gegliedert, in denen die Rechtlosen und Hungernden leben. Man braucht nicht viel Phantasie, um dieses Bild auf die aktuelle Weltlage zu beziehen. Doch es gibt einen geheimen 13. Distrikt im Untergrund, wo die Widerstandsbewegung lebt. Hier erwacht Katniss nach der Katastrophe, mit der die letzte Episode endete. Ihr Brandpfeil, in die Kuppel der virtuellen Arena gefeuert, ließ die gesamte Anlage explodieren. Katniss ist zur Symbolfigur der Revolution geworden, im Zeichen des Spott-Tölpels (Mockingjay). Sie und ihre Angehörigen wurden von den Rebellen gerettet. Doch Peeta (Josh Hutcherson) befindet sich in den Händen der Machthaber.

Nun beginnt ein Krieg der Bilder. Die Revolutionäre hacken sich in die landesweite Ausstrahlung, Katniss soll in Propagandafilmen den Widerstand anheizen und die Menschen einen. Peeta, offenbar gefoltert und verhaltenskonditioniert, wird von der Gegenseite ebenso in Propagandaaufnahmen eingesetzt, er soll die Angst vor dem Bürgerkrieg schüren.

Die Verfilmung der Tribute von Panem ist ein Zeitgeist-Ereignis. Der Kinosaal ist voll besetzt bis auf den letzten Platz, der Großteil des Publikums zwischen 20 und 30 Jahren.

Ein sogenannter Actionfilm, doch im Saal herrscht eine ungewöhnliche Atmosphäre: still, innerlich, konzentriert. Das liegt daran, dass es sich hier um übersinnliche Aktion handelt – um Imagination. Man sieht die Leute förmlich denken. Jedem im Saal ist klar, dass der Bilderkrieg längst in unserer Wirklichkeit ausgetragen wird. Die öffentlichen Inszenierungen der Enthauptungen durch den IS verfolgen eben jenen Propagandazweck. Doch generell gilt: wir sind in unserer Zivilisation längst auf der Bilderstufe angekommen. Mit der entsprechenden Problematik der Fragwürdigkeit. Kann man den Bildern trauen, wer oder was steht dahinter, wie kann man Bilder durchschauen, und sie prüfen auf ihren Wahrheitsgehalt? Katniss verweigert sich der Manipulation und der Suggestion der Bilder – selbst wenn sie zum Guten dienen. Das macht sie zur Zeitheldin. Hier gibt es kein Schwarz-weiß-Muster, keine eindeutige Seite, auf die man sich schlagen könnte. Es gibt nur das Ich, als konzentrierte Kraft der Person, aus der man situativ handeln kann. Jeder im Publikum, jeder der zusieht, ist in derselben fiktiven Lage – das ist der verrückte Doppelungseffekt, der zweite Boden – wir sehen Filmbilder, was machen sie mit uns, was machen wir daraus?

Aktuell lässt sich der ungeheure Vorgang beobachten, mit dem ein Kunstwerk in die Wirklichkeit einbricht. In Thailand wurden kürzlich Mitglieder der Aktivistengruppe Daodin festgenommen. Sie demonstrierten mit erhobener Hand, im Zeichen des Spott-Tölpels. Anfangs wussten die Militärs nicht, was diese Geste bedeuten sollte. Als sie es herausgefunden hatten, wurde der Film verboten und wo er doch lief, wurden anschließend die Zuschauer verhaftet. Noch ist die Geschichte nicht zu Ende erzählt. Wie wird die reale Welt aussehen, wenn das Finale, Mockingjay Teil 2, in die Kinos kommt?

Die Tribute von Panem, Mockingjay Teil 1, Regie Francis Lawrence, mit Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth. Action-Science Fiction-Film, USA 2014, 203 Min.