Das Recht der Kinder steht höher als das Elternrecht

Petra Werum

Herr Maurer, Sie stellen in Ihrem Editorial das Recht der Eltern bezüglich der Art der Beschulung über das Recht der Kinder auf eine nicht-sektiererische, vielfältige, demokratische Bildung. Sie rücken den Lehrerpräsidenten Herrn Kraus, der Homeschooling ablehnt, in ein hinterwäldlerisches Licht, da er alles sicher kontrollieren wolle und Angst vor frischem, freierem Wind habe.

Meine Kinder gehen von Anfang auf die Waldorfschule, die ich in ihrer pädago­gischen Ausrichtung sehr schätze.

Auch die Waldorfschule unterliegt in Deutschland relativ frei lassenden staatlichen Vorgaben und einer staatlichen Kontrolle. Ich mag in paternalistischen Strukturen denken, was ich üblicherweise nicht tue, aber ich bin in Sachen Bildung dankbar, dass jede/r sich hier darauf verlassen kann, dass in allen deutschen Schulen sämtliche wesentlichen Inhalte vermittelt werden und nichts gelehrt wird, was demokratischem Gedankengut widerspricht.

Für mich ist – im Gegensatz zu Ihnen – das höhere Gut als das Elternrecht das Recht der Kinder auf Kontakte zu Gleichaltrigen sowie auf eine umfassende

demokratische Bildung. Ich bedauere die Kinder christlicher Homeschooling-Fundamentalisten, deren gesamter Tag auch ab sechs Jahren noch durch die Eltern gestaltet und reglementiert wird, die sich nicht mit Gleichaltrigen austauschen und erproben können, die eine einseitige Weltsicht vermittelt bekommen und vermutlich in Bezug auf Sexualität und Körperlichkeit nicht allzu viel Offenheit erleben. Ich bedaure die Kinder islamischer Homeschooling-Fundamentalisten, für die das Gleiche zutrifft, aber wahrscheinlich noch extremer in die individuelle Freiheit eingreifend.

Homeschooling – Eltern werden nicht oder wenig kontrolliert, und so können sie die Kinder problemlos indoktrinieren. Wie kann man dieses enge, paternalistische, unkontrollierte Familiensystem einem variantenreichen, demokratisch fundierten Schulsystem unter staatlicher Aufsicht vorziehen?

Bildung ins Asyl geschickt, Editorial März 2010.