Schnelle Nachrichten kapieren

Helmut Breunig

Öffentliche Debatten um Hochtechnologie sind unvermeidlich durchsetzt von Spezialwissen, wodurch sie anfällig werden für die publizistische Fortschreibung von Irrtümern. Welcher Situation sieht sich der interessierte Laie hier gegenüber?

Im Leserbrief wird bemängelt, es sei »undifferenziert«, die im Artikel genannten Beschwerden allein auf Elektrosmog zurückzuführen, wo doch ein Beleg für »Elektrosensibilität« fehle. Es wurden Hinweise auf Untersuchungen beigebracht, in denen festgestellt wurde, dass »sogenannte elektrosensible Menschen« nicht bemerken konnten, ob ein Gerät an- oder ausgeschaltet war. Gleichermaßen Aufmerksamkeit verdient hätte wissenschaftlich fundierte Kritik an einem Studiendesign (zum Beispiel Aschermann, Leszczynski), das solche Ergebnisse hervorbringt. Auf welchen Weg begibt man sich, wenn man einer Medizin vertraut, die Erkrankungen allein auf Grundlage des äußeren Experiments beurteilt und den Menschen ohne nachdenkendes Zögern mit einem Funkempfänger gleichsetzt?

Vorschnell erscheint auch, »zahlreiche Berichte« darüber, dass Menschen zum Beispiel im Umfeld von Handy-Masten über Beschwerden klagten, bevor die Antennen in Betrieb gingen, unhinterfragt als geeignet zur Bewertung der psychischen Verfassung der Betroffenen anzusehen. Wo ich mich als Leser damit konfrontiert sehe, dass Bezeugungen Erkrankter auf Basis von Internetgerüchten in Bausch und Bogen als Selbsttäuschung entwertet werden, mag ich davon nichts glauben, solange Quellenangaben fehlen, an Hand derer solche Berichte überprüft werden könnten.

Auch der angeführte Artikel des Deutschen Ärzteblatts folgt in der Darstellung einer Forschungsarbeit, bei der Symptombildung nach vermeintlicher Funkstrahlung zum Ausgangspunkt für weitreichende Folgerungen gemacht wurde, unreflektiert der Anschauung des Menschen als Maschine. Eine überregionale Tageszeitung handelte die Ergebnisse der im Ärzteblatt besprochenen Studie als Beleg für einen in der Gesellschaft waltenden Gesundheitswahn, der überall Bedrohungen und Gefahren wittere. Die Beschwerde einer elektrosensiblen Leserin erwirkte einen »Hinweis« des Deutschen Presserats an das Blatt wegen verzerrender Darstellung. Es wurde ein Verstoß gegen Ziffer 2 des Pressekodex festgestellt. Dieser verpflichtet die Redaktionen zu journalistischer Sorgfalt bei der Recherche und wahrheitsgemäßer Berichterstattung. Wo hatte es gehakt?

Zwei Probandengruppen waren in einem Versuch zu dem irrigen Glauben gebracht worden, dass sie WLAN-Strahlung (WiFi) ausgesetzt seien, und wurden über auftretende Beschwerden befragt. Solche waren in etwa gleicher Zahl bei beiden Gruppen aufgetreten. Der Presserat bemängelte, dass im Artikel suggeriert wird, Symptome seien nur bei Versuchsteilnehmern aus derjenigen Gruppe aufgetreten, der zuvor ein Film mit Warnungen vor WLAN gezeigt wurde (Suche unter AZ 0236/14/1). Weshalb hatte der Verfasser des Artikels, wiewohl er in Kenntnis des Volltextes der Studie war (eigene Recherche), diesen Mangel nicht vermeiden können? Berichte in anderen Publikationsorganen standen dem suggestiven Duktus des gerügten Artikels wenig nach.

Fragen zur gepflogenen Gewissenhaftigkeit in der publizistischen Vermittlung der besagten Studienergebnisse stellen sich auch bei genauerer Betrachtung der Pressemitteilung der Uni Mainz, auf der die Medienberichte fußten. Für die Beurteilung der in ihr waltenden Sorgfalt kann als Maßstab der Anspruch der Studie selbst angelegt werden. War doch deren Fragestellung, ob Medien zu besonderer Verantwortung bei der Berichterstattung über Gesundheitsrisiken durch Funkstrahlung aufgefordert sind. Die vom Presserat kritisierte Verzerrung war schon in der Presseerklärung angelegt. Darin wurden Daten nicht genannt, die als Voraussetzung für eine stimmige Bewertung der Studie unverzichtbar sind. Auf Nachfrage einer Leserin räumte einer der Studienautoren ein, dass die Daten nicht den in den Medien vermittelten Eindruck stützen, wonach der WLAN-Gefährdungsfilm per se zu stark erhöhten Symptomen führte (eigene Recherche). Wohl hat die Studie eindrucksvoll gezeigt, was Menschen sich auch aus Furcht vor Funkstrahlung einbilden können. Keineswegs ist sie geeignet, im Umkehrschluss elektromagnetische Unverträglichkeit beim Menschen in Frage zu stellen. Doch eben dieser durch eine entstellende Vermittlung angelegte Kurzschluss, ist geeignet, beim Leser den Anschein zu erzeugen, dass Risiken durch Funkstrahlung nicht bestünden.

Ist die damit aufscheinende Entlastung in eigener Sache für die Medienbranche so sehr willkommen, dass man dies nicht als Irrlicht erkennen mochte? Funkgestützte mobile Kommunikation ist eine wesentliche technische Stütze der wirtschaftlichen Zukunftsstrategie der Medien. Kritik daran dürfte da zu Spannungen führen. Sich hier der Mäßigung zu befleißigen, durch gründliches Nachdenken der Publikation eines Zerrbildes vorzubeugen, kann selbst Wissenschaftsredakteuren schwer fallen, wenn sowohl die entlastende Botschaft als auch die moralische Verpflichtung zu ihrer Verbreitung von der Wissenschaft geliefert werden. Warnung vor »reißerischen Medienberichten«, »denen oft die wissenschaftliche Grundlage fehlt«, in deren Folge sich Menschen für empfänglich hielten und daher »in entsprechenden Situationen auf Elektrosmog mit Symptomen« reagierten, wurde zum Zeichen von gemeinsam wahrgenommener Verantwortung von Forschern und Journalisten. »Die Wissenschaft und die Medien müssen unbedingt stärker zusammenarbeiten und sich darum bemühen, dass Berichte beispielsweise über mögliche Gesundheitsrisiken neuer Technologien so wahrheitsgetreu wie möglich und nach bestem Wissensstand an die Öffentlichkeit gelangen«, lautete die Empfehlung.

Bei feinerer Betrachtung der Qualität der medialen Kommunikation selbiger Studie sucht man vergeblich nach der Erfüllung des darin erhobenen Anspruchs. Was dabei im Gehalt übrig bleibt, ist vergleichbar der Beobachtung, wie ein Teil einer Zuhörerschaft es nicht vermeiden kann, sich zu kratzen, wenn man ihr von Läusebefall erzählt, selbst dann, wenn nachweislich keine Läuse da sind. Und dies hinreicht, dass die Einen sich gerechtfertigt sehen in der Verbreitung und die Anderen im Glauben der These, wonach Jucken kein Zeichen von Läusebefall sein kann.

Könnte die Trübung der Unterscheidungsfähigkeit und Aufmerksamkeit, die man nicht entbehren kann für einen nüchternen, risikobewussten Umgang mit elektromagnetischer Strahlung, mit der Einwirkung derselben auf den Menschen in Verbindung stehen? In Anbetracht der Funkstrahlung, in die die Lebenswelt heute nahezu allzeit und allerorts durch Kommunikationsmedien getaucht ist, kam ich zu dieser Frage, als ich mich an eine Anmerkung R. Steiners im Landwirtschaftlichen Kurs erinnerte (Zitat nach GA 327): »… dieses Leben des Menschen, namentlich in der strahlenden Elektrizität, wird bewirken, dass die Menschen nicht mehr kapieren können diese Nachrichten, die sie so schnell kriegen. Es wirkt auslöschend auf das Kapieren.«

Daniel Walz: »Lieber ätherisch bleiben«

Gilda Bartel: »Strahlende Wirkungen«