Waldorfpädagogik ist für alle da

Philipp Gelitz

Kritische Fragen an die Kleinkindbetreuung sind auf dem Wege zu einer bewussten Haltung eine Bereicherung. Der Alltag der betreffenden Kinder, Eltern und Waldorferzieherinnen sieht aber etwas anders aus, als das zwischen den Zeilen von Venturini und Saßmannshausen suggeriert wird.

Die Beiträge erwecken den Eindruck, Krippen entstünden auch bei Waldorfs in erster Linie deshalb, weil die Kindergärten damit das große Geld zu Lasten eines durchdachten pädagogischen Konzeptes machten. Das ist eine gefährliche Aussage. Auch wenn es stimmt, dass es zur Zeit Zuschüsse für die U3-Betreuung gibt, so liegt der Impuls für die Gründung einer Waldorfkrippe fast immer bei verantwortungsvollen anthroposophischen Pädagoginnen, die die Bedürfnisse der Familien wahrnehmen und konkrete praktische Antworten geben, statt zu moralisieren. Waldorfkrippen gibt es seit über zehn Jahren, also schon zu einer Zeit, als es noch keine tolle Bezuschussung gab.

Jeder in diesem Feld handelnden Person ist bewusst, dass das einstmals formulierte Ideal eines Kindergartenbesuchs von 8 bis 12 Uhr ab vier Jahre aufwärts immer noch gültig ist. Es entstehen jedoch in demjenigen, was wir etwas abstrakt »gesellschaftlicher Wandel« nennen, sehr viele individuelle Familiensituationen, über die man nicht öffentlich sprechen kann, weil sie sehr intim sind. Diesen Familien keine anthroposophisch fundierte Kleinkindbetreuung anzubieten – das wäre verantwortungslos!

Unbestritten brauchen Eltern, die ihr Kind in den ersten drei bis vier Jahren zu Hause versorgen, mehr Anerkennung, ja sogar Hochachtung. Das eine schließt das andere aber nicht aus.

Wie kommen wir eigentlich dazu, Waldorferzieherinnen als Erfüllungsgehilfen einer Wirtschaftslobby hinzustellen? Sicher: Die flächendeckende Versorgung mit Krippenplätzen mag dieses Motiv haben. Der Entschluss einer Waldorfkindergärtnerin, auch Unter-Dreijährigen, wo nötig, ein bestmögliches Umfeld für ihre Entwicklung anzubieten, hat jedoch andere Motive.

Es ist gut, wenn Eltern sich fragen, ob sie ihre Kinder in eine frühe institutionelle Betreuung geben wollen und dabei auch ihre Beweggründe reflektieren. Haben sie sich aber dazu entschlossen, dann müssen wir für sie da sein! Das ist unsere Pflicht. Wieso gibt es denn anthroposophische Heime für Kinder mit Behinderungen? Wieso sind diese Kinder nicht zu Hause bei Mama und Papa, die zuvor den Job gekündigt und Haus und Hof verkauft haben? Das sind Lebenssituationen, denen sich betreffende Eltern und Pädagogen individuell stellen müssen. Der Impuls der tätigen Pädagogen kommt hier wie dort immer aus dem anthroposophischen Menschenbild und dem Willen, für Kinder und ihre Familien da zu sein – und zwar in jeder Lebenslage!

Es ist ja richtig, wenn gesagt wird, dass Probleme der Arbeitswelt mit Reformen in der Arbeitswelt selber gelöst werden müssten. Bis dahin will ich aber eine anthroposophische Kleinkindbetreuung auf höchstem Niveau. Der Hinweis auf Interesselosigkeit und auf das Nachholen des versäumten Spielens in der Schule sowie die unnötige Verknüpfung mit nervösen, blassen und unsicheren Kindern geht völlig an der Realität vorbei und verunglimpft die Betreffenden.

Waldorfpädagogik ist für alle da! Auch für die Kinder berufstätiger Eltern. Wer nicht für alle da ist, ist ein elitärer Club!

Wir müssen von der Zukunft her denken. Alles, was vorgebracht wird, kommt aus der Vergangenheit. Nichts wissen wir vom Inkarnierungswillen der Kinder. Was für Schicksalsnetze die einzelnen Kinder, die Eltern und die Pädagogen verbinden, und was aus einer Begegnung außerhalb des Familienkreises – bei allen Problemen, die da sind – für das spätere Leben erwächst, entzieht sich unserer Einsicht. Wer ganz dicht an den kleinen Kindern dran ist, der ahnt es manchmal. Das ahnt man aber nicht, wenn man am Schreibtisch sitzt und über Krippen schreibt.

Bei einem wachen Erleben des Krippenalltags zeigt sich, dass es eine neue Art der Verantwortung im Hinblick auf das Elternsein gibt. Im Vertrauen auf verantwortungsvolle Entscheidungen der Eltern sollten wir daher die große Nachfrage als ein zeitgemäßes Bedürfnis begreifen.