Für Flüchtlingsfamilien aktiv – im Familienzentrum in Witten helfen Pateneltern und Ehrenamtler

Guida Correia de Freitas

»Frau Freitas, ich möchte noch mehr von den Kartoffeln, bitte«, sagt Yunus. Noch vor einem Jahr konnte er kein Wort Deutsch. Stattdessen plötzliche Panik­­-attacken und Wutausbrüche, die unvermittelt beim Reigen, beim Freispiel oder im Garten auftraten. Bei ihm bleiben und aushalten, bis alles vorbei ist, war das Einzige, was half. Yunus war mit seinen Eltern zwei Jahre auf der Flucht, bis er bei uns in Witten ankam. Über die auf der Flucht erlittenen Traumata können wir nur spekulieren.

Der Kontakt zu Flüchtlingsfamilien hat sich aus der direkten räumlichen Nachbarschaft zu einem Flüchtlingsheim ergeben. Wir schufen ein erstes Angebot für Flüchtlingsfamilien mit der Einrichtung einer Eltern-Kind-Spielgruppe, gefördert im Rahmen der Bundesinitiative »Frühe Hilfen, kein Kind zurücklassen«. Es folgten eine weitere Spielgruppe nur für Kinder und eine Brückengruppe für Flüchtlingskinder im Vormittagsbereich, ebenfalls gefördert durch das Förderprogramm zur Kinderbetreuung von Flüchtlingsfamilien 2015 durch das Landesjugendamt NRW. Parallel dazu wurde in der benachbarten Waldorfschule ein Deutschkurs für die Eltern eingerichtet.

Yunus und sechs weitere Kinder sind ein halbes Jahr später in die regulären Kindergartengruppen gewechselt. Und jetzt, sechs Monate später, bittet er in fehlerfreiem Deutsch um weitere Kartoffeln! Er ist nun bei allen Aktivitäten emsig dabei und eingebunden, Panik- und Wutattacken gibt es nicht mehr.

Ziel unserer Arbeit ist die Förderung und Gestaltung einer vielfältigen lokalen Kultur des Zusammenlebens, gegenseitige Akzeptanz und Interesse am Anderen. Mit einem niederschwelligen und vielfältigen Beratungsangebot unter Nutzung der Netzwerke des Familienzentrums soll Hilfe zur Selbsthilfe geleistet und die Ehrenamtsstrukturen aufgebaut werden.

Es haben sich fruchtbare Ansätze einer gelungenen Integration entwickelt. So zum Beispiel durch unser »Interkulturelles Familiencafé«, wo die Eltern der Flüchtlingskinder mit denen der deutschen Kinder zusammenkommen. Beim letzten Elterncafé haben wir syrische Plätzchen gebacken und deutsche wie syrische Lieder gesungen. Wir erreichen damit, dass deutsche Familien angeregt werden, Patenschaften für Flüchtlingsfamilien zu übernehmen, dass praktische Erziehungshilfe geleistet werden kann, auch durch das pädagogische Fachpersonal, und ein besonderer heilpädagogischer Therapie- oder Förderbedarf bei traumatisierten Flüchtlingskindern frühzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden können. Das Interkulturelle Familiencafé wird für ein Jahr aus dem Bundesprogramm »Demokratie leben« finanziert.

Das Familiencafé ist ein Platz, wo sich nicht nur lockere Kontakte anbahnen, sondern auch vorhandene Fähigkeiten »älterer« Flüchtlingsfamilienmitglieder genutzt werden können, zum Beispiel für Dolmetscherdienste oder bei der Einführung in hierzulande geltende gesellschaftliche Konventionen.

Die »Ehrenamtler« profitieren davon: ihr Selbstbewusstsein steigt durch ihre Vorbildfunktion und sie sind motiviert, sich sprachlich und beruflich weiterzubilden. Die Sprachsicherheit ist sowohl für die Beschulbarkeit der Kinder als auch die kulturelle und spätere Arbeitsintegration der Flüchtlinge von herausragender Bedeutung.

Yunus hat mit seinen fünf Jahren noch ein weiteres Jahr bei uns Zeit, um schulreif zu werden. Samira, sechs Jahre alt und erst seit vier Monaten bei uns, wird schon nach den Sommerferien in die benachbarte Waldorfschule gehen.

Zur Autorin: Guida Correia de Freitas ist staatlich anerkannte Erzieherin, Waldorferzieherin, Dipl. Sozialpädagogin und Managerin für Interkulturelle Öffnungsprozesse