Gutscheine statt Steuern

Mathias Maurer

Von Königs Gnaden zum Väterchen Staat

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Bildung nicht immer ein öffentlich finanziertes Gut war. Die ersten »Bildungsträger« waren einzelne Persönlichkeiten, Mäzene, die Bildung und Forschung finanzierten. Es waren die Königs- und Herrscherhäuser, in denen Bildung, damals in mündlicher Form in adligen Kreisen, vermittelt wurde. Es folgten die Kirchen, die aus dem Vermögen ihrer Mitglieder Horte der Bildung finanzierten. In den Schreibstuben der Klöster kopierten, illustrierten und studierten Mönche dicke Folianten zur Ehre Gottes. Bildung war ein exklusives Gut.

Ohne technische Revolutionen ist der Siegeszug der Aufklärung nicht zu denken: Erst durch den Buchdruck kamen breitere Bevölkerungsschichten in den Genuss belehrender und erbauender Literatur. Es folgten konsequenterweise mit dem Erstarken des Bürgertums und schließlich mit dem bürgerlichen Gemeinwesen die »Verstaatlichung« von Bildung und die Einführung des Rechts auf Bildung. Bildung wurde zu einer öffentlichen, säkularen Angelegenheit mit durchschlagender flächendeckender Wirkung – die Druckerpressen riefen nicht nur zum Reichsfrieden auf.

Erst in demokratischen Gesellschaften entfaltet Bildung ihr volles emanzipatorisches Potenzial. Dabei scheinen sich die Bildungsprozesse tendenziell vom herrschenden oder institutionellen Steuerungswillen der Machthaber zu lösen. Doch sind wir heute beileibe nicht dort, wo wir in einem freiheitlichen Gemeinwesen sein könnten: Der Bildungsbereich ist nach wie vor, besonders in Deutschland, organisiert und finanziert, wie in einer vermeintlich überholten Planwirtschaft. Der Staat hält an der zentralen Steuerung von Bildung fest und steuert über die Finanzierung das, was an Bildung gewollt wird oder nicht. Zudem tritt er selbst als Produzent auf. Die Auffassung, dass Bildung über ein staatliches Bildungsmonopol laufen müsse, ist fester Bestandteil deutschen Rechtsempfindens und Obrigkeitsdenkens. Das ist obsolet und wir stehen heute vor einer entscheidenden Wende. Der mündige Bürger will selbst entscheiden – was das Beste für ihn und seine Kinder ist, und zwar nicht auf Kosten des Gemeinwohls.

Bildung ist kein Marktplatz

Der Gedanke liegt nahe, eine Finanzierung von Bildung über Gutscheine leiste neoliberalen Vorstellungen, Bildung zu kommerzialisieren, Vorschub, – siehe Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP). Doch Marktmechanismen dürften bei einem öffentlichen Gut nicht greifen. Würde man der Grundidee des »Erfinders« des Bildungsgutscheins (Voucher) Milton Friedman in Reinform folgen, wäre ein »Ausverkauf von Bildung« vorprogrammiert: Billig zum Abschluss. Die Schüler würden selektiert, Chancengleichheit wäre passé, Eliteschulen einerseits, sinkende Bildungsqualität durch konkurrierende Schulen andererseits und Verödung des Schulprofils im ländlichen Raum, um nur einiges zu nennen. Würde man jedoch den Gedanken der Freiheit auf den Wettbewerb der Pädagogiken selbst anwenden und pädagogischen Inhalt von seiner Finanzierung trennen, wäre ein gewünschter Effekt erzielt: Die beste Pädagogik setzt sich durch und zwar durch die »Abstimmung mit den Füßen«. Dem Staat kommt dabei reine Aufsichtsfunktion zu (Einhaltung der Grund- und Menschenrechte), nicht die Verteilung der Mittel – das besorgen die Eltern und ihre Kinder, die Bildung »nachfragen« –, und schon gar nicht der Inhalte. Dadurch kommt Schwung in die Bildungslandschaft, eine Angebotsfinanzierung wird durch eine Nachfragefinanzierung abgelöst und lässt tausend Blumen blühen.

Für wie unfähig hält man eigentlich die Eltern, um ihnen noch vorsagen zu müssen, dass Bildung für ihre Kinder wichtig sei und dass man sie in Sachen Bildung bevormundet? Das gehört ins Bismarcksche Zeitalter, als es berechtigterweise darum ging, soziale Kompensationen, zwar mit dem Gießkannenprinzip und dem allgemeinen Recht auf Bildung, dem menschenverachtenden Manchesterkapitalismus entgegenzusetzen, oder es gehört in das politische Ressort Entwicklungshilfe, das sich um Länder kümmert, wo das Recht auf Bildung noch ein Fremdwort ist. Heute sind wir in den westlichen Gesellschaften ordnungspolitisch da angekommen, wo die Betroffenen selbst darüber entscheiden sollten, was für eine Bildung sie wollen. In Europa leben Menschen, die auf dem Weg zu einer Bürgergesellschaft sind, die Verantwortung für das Gemeinwohl übernehmen, subsidiär Initiative ergreifen und vormalige staatliche Aufgaben übernehmen wollen, die aus Geldknappheit zunehmend sowieso nicht mehr befriedigend erfüllt werden können (siehe Renten). Und der Bildungsgutschein könnte diese Initiativkraft realisieren – zum sozialen Vorteil und zur Entlastung des Staates.

Geschenkte Bildung

Finanzierung in Bildung ist Investition in die Zukunft – das gilt für alle, die sich bilden. Investition in Bildung ist eine freie Investition. Der Staat und die Eltern wissen nicht, wie in Zukunft die Kinder, die Schüler oder die Studenten die Früchte des finanziellen Engagements, das sich nicht humankapitalistisch rechnen lässt, einsetzen werden. Sie vertrauen und schenken.

Es kann sein, dass die Früchte nie genossen werden, faulen, ungenutzt bleiben oder aber auch weitere Früchte tragen. Wer weiß das im voraus? Das ist ein Risiko, seit Menschen Kinder haben. Bildungsgutscheine stärken das Recht der Eltern, über den Bildungsweg ihrer Kinder individuell zu entscheiden. Sie müssen sich nicht wie in den ehemaligen HO-Läden der DDR zwischen drei Sorten von Bildungskonserven entscheiden, sondern können durch ihre Finanzkraft selbst das Angebot beeinflussen. Es wird »produziert«, was real nachgefragt, und nicht planwirtschaftlich angeboten wird. Neues entsteht, Bewährtes wird gesichert, Überholtes verschwindet aus den Regalen.

Eltern haben hierzulande das Recht auf freie Schulwahl – aber nicht immer die nötigen Mittel, sie in Anspruch zu nehmen. Das würde sich ändern, wenn alle Eltern aus öffent­lichen Mitteln einen Gutschein für die Bildung ihrer Kinder erhielten, den sie bei der Schule ihrer Wahl einlösen könnten. Damit würden die Eltern als »Nachfrager« darüber bestimmen, welche Schulen es gibt. Die Schulen müssten ihre pädagogischen Qualitäten unter Beweis stellen und wirtschaftlich mit den durch Gutscheine zugesprochenen Geldern umgehen. Die Waldorfschulen zeigen mit ihrer beispiellosen, konsolidierten Jahresbilanz, dass sie trotz einer nur teilweisen staatlichen Bezuschussung zwischen 60 und 90 Prozent wirtschaftlich arbeiten, und darüber hinaus in eigene Schulgebäude und Lehrerbildung investieren. Das geht nur durch Schulgelder, die von den Eltern aufgebracht werden müssen, weil die freien Schulen in Deutschland staatlich nicht voll unterstützt werden, obwohl sie den gleichwertigen Bildungsauftrag erfüllen und zu anerkannten Abschlüssen führen. Dabei werden Eltern, die »freie« Bildung nachfragen, doppelt belastet: über die Steuer und das Schulgeld.

Doch der Bildungsgutschein würde für Gleichberechtigung und Gleichbehandlung bei der Ausübung des Rechts auf freie Schulwahl sorgen, unabhängig davon, ob es sich um Einrichtungen in staatlicher oder freier Trägerschaft handelt.

Bildungsgutscheine könnten ohne Weiteres neben einer finanziellen schulartabhängigen Grundausstattung zusätzliche kompensatorische Zusatzleistungen mit transportieren: für Schulen in sozialen Brennpunkten, für Schulen mit inklusivem Profil, für Landschulen mit großem Einzugsgebiet und schlechter Infrastruktur, für Hochbegabtenschulen, für Berufsschulen oder reformpädagogische Schulen gleichermaßen.

Der neue Souverän im Bildungsbereich kann in einer Zivilgesellschaft nur aus den Betroffenen selbst bestehen. Sie haben ein Recht darauf, ihre freie Schulwahl durch ein angemessenes, nachfrageorientiertes Finanzierungsverfahren zu realisieren. Sie tragen das Geld dorthin, wo sie es hin haben wollen. Die finanzielle Steuerungs- und Verfügungsmacht in Sachen Bildung liegt nicht mehr bei Kirche oder Staat, sondern beim einzelnen Bürger.

Das wäre einem zivilgesellschaftlich organisierten Gemeinwesen angemessen. Dabei sollte man den allseits gewünschten pädagogischen Pluralismus in unserem Bildungswesen nicht mit einem ungezügelten Bildungsmarkt, der das Recht auf Bildung des Menschen ungeschützt plattwalzt, verwechseln.

Demokratien leben vom friedlichen Wertepluralismus. Eltern haben unterschiedliche Erziehungspräferenzen und Wertvorstellungen. Sie sollten auf dem Boden unserer freiheitlichen Verfassungen ohne Diskriminierung und Benachteiligung ihren Ausdruck finden dürfen. Lasst tausend Blumen blühen, heißt, macht Schule so vielfältig und bunt wie es die Gesellschaft ist. Der Bildungsgutschein würde der Monokultur ein Ende setzen.