Niemals die Hoffnung verlieren. Sozialpraktikum im Paraplegikerzentrum Athen

Ilias Iliadis

Während des Fluges nach Athen machte ich mir schon die ersten Gedanken, was mich wohl erwarten würde, was meine Aufgaben wären und ob ich denn überhaupt helfen könnte. Ich war mir ein bisschen unsicher, ob ich mich nicht überschätzt hatte. Schließlich ist es keine leichte Aufgabe, Menschen zu pflegen. Es kam mir der Gedanke, dass ich auch in einen Kindergarten hätte gehen können, doch schon an meinem ersten Tag verflogen alle Bedenken. Ich schaute zu und erlernte die grundlegenden Handgriffe. Es vergingen die ersten Stunden, bis ich dann endlich selber eine Frau vom Behandlungszimmer zurück in ihr Zimmer fahren durfte. Sie saß im Rollstuhl. Sie hatte einen schlimmen Schlaganfall erlitten und konnte vieles von dem, was wir für selbstverständlich halten, nicht mehr. Sie konnte weder laufen noch sprechen, noch selber essen, sie hatte das Schreiben verlernt und erinnerte sich nicht mehr an ihre Vergangenheit. Sie war schon länger in dieser Einrichtung und wurde Tag für Tag von mehreren Ärzten behandelt: von der Physiotherapie über Logotherapie bis zu den wöchentlichen Gesundheitskontrollen. Obwohl sie jeden Tag ihre Therapien machte, schienen diese nicht wirklich Erfolge zu erzielen. Ich fragte mich, ob diese Frau und ihre Verwandten die Hoffnung nicht schon lange aufgegeben hatten, doch ganz im Gegenteil: Alle Verwandten und auch die Ärzte waren positiv eingestellt und versuchten alles in ihrer Macht Stehende, um dieser Frau zu helfen.

Lebensfreude im Anblick des Unglücks

Meine Aufgaben wurden mit den Tagen immer mehr. Ich durfte bei der Physiotherapie helfen, bei der Logotherapie und auch die Patienten auf persönlicher Ebene kennenlernen. Anfänglich hatte ich Angst, mit einem Patienten oder dessen Verwandten in ein persönliches Gespräch zu kommen, da ich befürchtete, dass viele von ihnen aufgrund ihrer Schicksalsschläge sehr negativ eingestellt seien. Doch alle Menschen, die ich kennenlernte, überraschten mich positiv. Sie waren überzeugt davon, dass sie selber oder ihre Angehörigen genesen würden. Sie machten Witze und es wurde gelacht, niemand beschwerte oder beklagte sich, obwohl jeder genau wusste, dass es unter ihnen Menschen gab, die ihr restliches Leben im Rollstuhl verbringen würden!

Nicht nur die Einstellung der Opfer und Angehörigen überraschte mich – auch die Einstellung der Ärzte erstaunte mich, die unter schlechten Bedingungen und mit sehr schlechtem Gehalt bis zu fünfzehn Stunden am Tag arbeiteten, um auch noch den letzten Patienten zu behandeln und nicht im Stich zu lassen. Es gefiel mir, mit den Leuten zusammenzuarbeiten und so wurde es meine Aufgabe, in dieser Zeit für die Leute da zu sein, egal, ob ich nun die Oma aus Zimmer 19b von der Blutabnahme ablenkte oder ob ich dem Familienvater aus Zimmer 22c spät abends noch Gesellschaft leistete. Ich war fünfzehn, zum Teil auch sechzehn Stunden am Tag dort, unterhielt mich mit den Leuten, weckte sie am Morgen, begleitete sie zu ihren Therapieterminen und brachte ihnen ihr Essen, falls sie nicht in die Mensa konnten. Ein Moment, in dem ich realisierte, wie stark jede Art von Hilfe gebraucht und dankend entgegen genommen wurde, war, als ich eine Frau zum Aufzug fuhr. Ich kannte sie nicht und war nur zufällig in der Nähe und hatte in diesem Moment nichts zu tun, also half ich ihr. Sie dankte mir unendlich und lud mich auf einen Kaffee in die Cafeteria ein. Als ich sie Tage später wiedersah, hatte sie Besuch von ihrer Tochter. Als ich sie grüßte, sagte sie zu ihrer Tochter: »Das ist der junge Mann, von dem ich dir erzählt habe«. Ich war sehr erstaunt, wie jede noch so kleine gute Tat geschätzt wurde.

Ich gewöhnte mich an den Ablauf meines Tages und fühlte mich wohl in der Einrichtung. Ich wurde wärmstens aufgenommen und als Teil der Familie angesehen. Sie war mein zweites Zuhause. Morgens um 7 Uhr fing ich an, abends gegen 22 Uhr ging ich wieder nach Hause, doch ich war gerne und freiwillig da!

In der dritten Woche lernte ich einen elfjährigen Jungen kennen. Er hatte einen Schlaganfall erlitten und war schon mehrere Monate dort. Als seine Therapie begann, konnte er nichts selbstständig machen. Er konnte auch nicht mehr richtig reden. Als ich ihm begegnete, konnte er wieder laufen und sprechen, allerdings nicht so wie früher. Er war ein sehr lebensfroher Junge und genoss jeden Tag. Er hatte immer ein Lächeln im Gesicht und war sehr freundlich, auch wenn er anfänglich schüchtern war und nicht mit mir reden wollte. Im Laufe der Tage bemerkte ich, dass er der Hoffnungsträger der ganzen Einrichtung war. Er war etwas allein, wie ich fand, da er der einzige in seinem Alter war. Die meisten Opfer von Schlaganfällen sind über 30.

Jeder in dieser Einrichtung kannte ihn und jeder spielte mit ihm, die Ärzte und Pfleger während ihrer Pausen, die Patienten, wann immer sie konnten. Er hatte viele Freunde, wenn auch nicht in seinem Alter! Ein ganz besonderes Ereignis für den Jungen war es, wenn ihm sein Bettnachbar, ein älterer Mann schon etwas über 50 Jahre, seinen Laptop lieh, mit dem er dann spielen konnte. Es berührte mich tief, wie sehr sich die Leute bemühten, dem Jungen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, obwohl sie selber Probleme hatten.

Es war eine sehr starke Erfahrung für mich. Diese drei Wochen zeigten mir, wie gut es mir geht und dass ich mich eigentlich über nichts beschweren kann.

Außerdem lernte ich, wie wichtig es ist, auch in schweren Zeiten des Lebens stark zu bleiben und niemals die Hoffnung zu verlieren!

Zum Autor: Ilias Iliadis ist Schüler der 12. Klasse und besucht die Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart.