Jugendsymposion Kassel: Empathie

Paul Otto

Vorträge regen an, in Seminaren wird diskutiert und gemeinsam gearbeitet, Workshops bieten Raum für Kreativität oder Vertiefung von aktuellen Themen. Darüberhinaus haben die Schüler die Möglichkeit, neue Freundschaften zu schließen, neue Menschen kennenzulernen und in Gesprächen Gleichgesinnten zu begegnen. Dieses Mal trafen sich knapp 200 Schüler zu einem langen Wochenende zu dem Thema »Empathie«..

Frank Esken (Uni Salzburg) sprach über den »Zusammenhang von Empathie- und Selbstbewusstseinsfähigkeiten«. Ohne ein Selbstbewusstsein, also ohne die Unterscheidung von Selbst und Anderem, kann man andere Menschen nicht verstehen. Diese Aussage beruht auf der Annahme, dass man nur über die Sprache andere als geistbegabte Wesen verstehen kann. Ihr widerspricht eine, für mich äußerst logische, Theorie: der Simulationsansatz. Durch eine nicht sprachgebundene Wahrnehmung, fühlt man sich in eine andere Person ein und versucht die Gefühle und Gedanken der Person zu verstehen.

Bernd Ruf von den »Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners« gab später einen äußerst spannenden Bericht über die weltweiten notfallpädagogischen Einsätze, die er leitet. Das hat insofern mit dem Thema zu tun, als die pädagogischen Hilfsmittel des Ein- und Mitfühlens in die traumatischen Erlebnisse einer anderen Person bedürfen. Die künstlerischen Aktivitäten wie Malen, Holzarbeiten und Musizieren helfen den Menschen in Krisengebieten wieder in ein inneres Gleichgewicht zu kommen.

Joan Sleigh, Vorstandsmitglied der Anthroposophischen Gesellschaft, sprach zum Ende der Tagung vor den von der intensiven geistigen Arbeit sichtlich erschöpften Teilnehmern über die »Empathie als Grundkraft menschlichen Zusammenlebens in einer globalisierten Welt«. Ein gutes menschliches Zusammenleben, in einer Welt, wie sie heute ist, kann nur auf Respekt vor dem anderen und dem Bewusstsein um den eigenen Stand gründen. Schade war, dass das höchst interessante Thema aufgrund der Müdigkeit der Zuhörer nur unzureichend aufgenommen werden konnte.

Sehr erfrischend und spannend waren die vielfältigen Seminare. Darunter »Geld und Empathie«, »Darwin neu verstehen« oder »Computer und Gefühle«. Die Workshops hatten eine große Spannbreite, von »Einführung in die Internationale Politik« über »Poetry-Slam« und »Bewegungspädagogik« bis »Empathische Landschaftsbetrachtung«.

Ergreifend war auch die Lesung von Jennifer Teege aus dem Buch: »Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen«. Sie erzählte, wie sie per Zufall erfuhr, dass ihr Großvater der Kommandant eines Konzentrationslagers war. Sie war in einer Bibliothek, als ihr plötzlich ein Buch von ihrer Mutter ins Auge fiel, in dem sie schilderte, wie es für sie gewesen war, als sie davon erfuhr.

Das Kassler Jugendsymposion war das erste Symposion, das ich besuchte, und es war für mich sehr interessant und lehrreich. Das diesjährige Thema ist aktuell und wichtig. Ich werde auch zu den nächsten Symposien fahren!

Das nächste Jugendsymposion zum Thema Freiheit findet vom 11. bis 14. Dezember 2014 statt.

Zum Autor: Paul Otto besucht die 10. Klasse der Freien Waldorfschule Freiburg-Wiehre und ist Mitglied im Bundesschülerratsvorstand.

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Die Kasseler Jugendsymposien

Die Kasseler Jugendsymposien wurden 2009 vom Lehrerseminar für Waldorfpädagogik in Kassel ins Leben gerufen, um engagierten Jugendlichen

Gedankenaustausch und Diskussion im außerschulischen Rahmen zu ermöglichen. Die Veranstaltung versteht sich als Zukunftswerkstatt der deutschen

Waldorfschulen und schafft für Oberstufenschüler und Studierende, die an aktuellen Zeitfragen arbeiten möchten, ein neues Forum.

Zweimal jährlich kommen rund 200 Jugendliche zusammen, um über Vorträge und Seminare einen intensiv geführten Dialog mit wegweisenden Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur zu führen. Gespräche auf hohem Niveau, persönlicher Fähigkeitszuwachs durch spezielle Trainings und internationaler Weitblick durch Kontakt mit prominenten Rednern in Plenarvorträgen prägen eine Atmosphäre, die den Prozess einer selbstverantworteten Persönlichkeitsentwicklung initiieren soll.

Die viertägigen Symposien wenden sich an persönlich eingeladene Schüler und  Studierende. Voraussetzung ist die Empfehlung einer Lehrkraft und die Einreichung eines Essays, der eine intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Tagungsthema erkennen lässt. Studierende, die in ihrer Schulzeit Teilnehmer eines Jugendsymposions waren, sind ebenfalls bewerbungsberechtigt.

Unter dem Motto »Entdecke deinen Anspruch und richte dein Leben danach aus!« sollen die Jugendlichen Impulse für die aktive Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft auf der einen und einer selbstverantworteten Persönlichkeitsentwicklung auf der anderen Seite erhalten.

Die Themen der bisherigen Jugendsymposien waren: 1. Wirklichkeit, 2. Geld, 3. Bewusstsein, 4. Energie, 5. Ästhetik, 6. Kulturen, 7. Menschheit, 8. Zeit, 9. Leben, 10. Empathie.

Link: www.jugendsymposion.de

Michael Zech