Martina

Johanna Büttner

Die vorsichtigen Strahlen der Februarsonne scheinen Martina ins Gesicht.

Es ist noch fast nichts Wärmendes an ihnen, und doch empfindet Martina jeden von ihnen als wunderschön. Sie lassen sie einen Moment vergessen, wovor sie hier nach draußen geflohen ist. Doch schon bald muss sie wieder an die verachtenden Blicke der Eltern denken, die ihr zu Hause überall hin folgen. Martina seufzt. Sie hat es nicht aufs Gymnasium geschafft, und somit die Erwartungen der Eltern enttäuscht. Sie ist bloß auf die Realschule gekommen – darum die verachtenden Blicke, besonders von der Mutter. Martina seufzt und reckt ihr Gesicht wieder in die Sonne.

Inzwischen ist sie bei einem Brunnen angekommen, dessen Anblick sie stets lächeln lässt. Es ist ein kleiner Brunnen, dessen Trog nicht sehr hoch liegt und dessen Wasser aus dem Mund eines metallenen Männerkopfs sprudelt. Martina weiß noch genau, wie sie etwa im Alter von drei Jahren mit der Mutter im Winter hier entlang gegangen ist. Vor dem Brunnen war die Mutter stehen geblieben, um ihn ihr zu zeigen. Martina hatte ihn damals genau betrachtet und dann – platsch – ihren rechten Fuß mitsamt den roten Stiefelchen ins Wasser getaucht.

Die Mutter hatte erst erschrocken aufgeschrieen, dann jedoch begonnen, schallend zu lachen. Das macht Martina, wenn sie jetzt daran denkt, furchtbar traurig, denn sie weiß, dass ihre Mutter heute keineswegs anfangen würde zu lachen, wenn sie mitten im Februar ihren Fuß mitsamt dem Schuh in den Brunnen tauchen würde. Vielmehr würde sie Martina anschauen, als ob sie ein ungezogener junger Hund wäre, dessen Bändigung ihr lästigerweise auferlegt worden ist. Dieser Blick hatte Martina bisher stets davon abgehalten, Dinge zu tun, die ihn hervorrufen könnten – obwohl es oft Dinge waren, die sie wirklich gern getan hätte, wie zum Beispiel die Wände ihres Zimmers orange anzumalen.

Martina seufzt erneut. Inzwischen steht sie vor dem Brunnen und betrachtet die Sonne, die vom Wasser reflektiert wird, so dass es aussieht, als ob der Brunnen voll von schimmerndem Gold wäre. Martina zögert, dann holt sie tief Luft und taucht den rechten Fuß mit einem Platschen in das goldene Wasser des Brunnens.