Mit dem Fahrrad nach Portugal

Leonie Donath, Noëlle Niemoth

Leonie Donath und Noëlle Niemoth zog es in die Freiheit. Letzten Sommer fuhren sie mit dem Fahrrad von Lindau am Bodensee nach Porto in Portugal. Sie durchquerten in 91 Tagen fünf Länder und legten rund 3.000 Kilometer zurück.

Vor zwei Jahren haben wir zusammen an der Potsdamer Waldorfschule unser Abitur gemeistert. Schon zu dieser Zeit schmiedeten wir Zukunftspläne. Wohin können wir mit welchen Mitteln einfach und abenteuerlich reisen? Zu Fuß? Das dauert zu lange. Mit dem Auto? Das geht zu schnell. Wir wollen doch unsere eigene Körperkraft zum Vorankommen verwenden. Also nehmen wir das Fahrrad. Unser Ziel? Portugal.

Noëlle kramte ein paar Frankreichkarten ihrer Eltern von 1970 heraus. Als wir mit unseren gewöhnlichen Fahrrädern im Outdoorshop auftauchten, ermutigten uns die Verkäufer durch Kommentare wie: »Mit den Dingern wollt ihr wohin? Da kommt ihr sicher nicht weit.« Lacht Ihr nur! Denn genau darum ging es uns. Wir wollten mit unseren einfachen alten Drei-Gang-Damenrädern losziehen. Keine Hightech-Ausrüstung. Der Kauf zweier Isomatten und eines Zeltes jedoch war nötig, denn diese versprachen uns Unabhängigkeit. Schlafsäcke hatten wir von Zuhause. Im Mai fuhren wir mit gepackten Taschen im Regen los, den Bodensee entlang Richtung Konstanz. In unseren Taschen hatten wir nur das Allerwichtigste, dachten wir zumindest. Zwei Wochen später ließen wir weitere elf Kilo zurück und das ein oder andere Päckchen ging auch später noch nach Hause, unter anderem mit Winterjacke, Thermoskanne, Landkarten, Kleidung, Accessoires. Es war großartig, wir reduzierten uns auf das, was uns am wichtigsten erschien. Bei diesem Prozess des Aussortierens lernt man sich selbst gut kennen.

Nachts in fremden Gärten

Zu Beginn fanden wir oft Unterkunft bei Couchsurfern oder Warm Showers, doch schon bald entdeckten wir das Zelten in Gärten am Wege. Zunächst war es mehr aus Not. Wir klingelten an einem Haus und es ging gut aus. So begannen wir des öfteren am Abend Ausschau nach Menschen auf der Straße oder Schaukeln in Gärten zu halten. Wenn uns jemand auf der Straße oder ein Garten sympathisch war, dann sprachen wir diese Person an oder klingelten, stellten uns und unsere Pläne vor und fragten, ob wir diese Nacht in ihrem Garten unterkommen könnten. Damit fanden wir nicht nur einen Schlafplatz, sondern lernten auch Einheimische kennen, denen wir sonst nicht begegnet wären. Wir wurden immer wieder zum Abendessen oder Frühstück eingeladen, es wurde uns die Dusche angeboten und hin und wieder waren wir Unterhaltung für die Kinder. Wer hätte gedacht, dass wir so familiär aufgenommen würden, dass Menschen so nett sind! Wir gewannen Vertrauen in unsere Mitmenschen. Wir wurden offener und je öfter wir Leute ansprachen, um so mehr fühlten wir uns in fremder Leute Gärten zu Hause.

Im ersten Monat sind wir jeden Tag mindestens 50 Kilometer gefahren, manchmal auch 90 Kilometer. In Spanien kamen wir dann auf unsere Tiefstrekorde von neun Kilometern am Tag. Es kamen uns Vorfälle dazwischen, wie die Rettung eines aus dem Nest gefallenen Vögelchens oder eine Kiste mit gekühltem Bier. So haben wir unseren Tag ganz aus der Gegenwart heraus gestaltet. Wenn wir fahren wollten, sind wir gefahren, wenn nicht, haben wir Pause gemacht. Kamen wir ans Meer, sind wir baden gegangen, hatten wir Hunger, haben wir uns etwas zu essen gemacht, wollten wir wo bleiben, sind wir geblieben.

Wir wollten es auskosten, genau das zu tun, wonach wir uns gerade fühlten. Und ich denke, auch das ist ein Lernprozess. Zu spüren, was in mir vorgeht, was ich wirklich will und was nur Gewohnheit ist.

Mittagspause am FKK-Strand

Je länger wir unterwegs waren, um so genauer wussten wir, was wir wollten und was nicht. Als wir an der französischen Atlantikküste ankamen, gingen wir bei der ersten Gelegenheit an einen Nacktstrand. Wir hatten nur ein paar Ostsee-FKK-Erlebnisse im Gepäck und so fühlte es sich schon neu an, sich ganz unbedeckt draußen in der Sonne zu bewegen. Gleichzeitig fühlten wir uns frei und es war sehr angenehm, ohne nasse Badebekleidung aus dem Meer zu kommen. Von diesem Zeitpunkt an planten wir unsere Tagesrouten so, dass wir zur heißen Mittagssonne an einem FKK-Strand landeten. Wir hatten einen weiteren großen Schritt in Richtung Freiheit getan und mit der Zeit fühlten wir uns immer wohler in unserer eigenen Haut.

Das einzige, wonach wir uns richten mussten, waren vier Dinge: Unsere Körper, die zu Beginn hin und wieder litten – es half uns Yoga und der natürliche Rhythmus, mit dem Mond ins Bett und der Sonne aus dem Bett zu steigen. Unsere Fahrräder, die gut durchhielten – wir hatten keinen Platten und nur eine Panne. Das Wetter, das in vier Monaten nur eine Woche lang Regen fallen ließ – sonst war es überwiegend heiß, Tage lang, Wochen lang. Und natürlich uns selbst, als einzelne Menschen und als Team – denn unser Zusammenhalt entschied über unsere Reise. Wie oft haben wir von verschiedensten Seiten die Frage gehört: »Und, geht Ihr Euch schon auf den Geist?« Wir fuhren zusammen Fahrrad, wir aßen miteinander, wir schliefen nebeneinander, putzten Zähne, pinkelten, redeten, trafen Entscheidungen, lernten andere Menschen kennen. Alles miteinander.

Da jeder Mensch, so auch wir, seine Eigenarten hat, verlangt langes Zusammensein Kommunikation und Akzeptanz. Wir lernten die Wege des anderen kennen, Fehler einzugestehen, aufrichtig zu sein, zu verzeihen, zu vertrauen und den anderen anzunehmen, wie er ist. Wir haben beide ausreichend Offenheit und Veränderungswillen mitgebracht, um innerhalb dieser Reisezeit eine wunderbare Entwicklung zu erleben und eine starke Freundschaft daraus zu gewinnen. Es hätte nicht besser laufen können. Vom Glück getragen.

Zu den Autorinnen: Leonie Donath absolvierte nach ihrem Abitur an der FWS Potsdam ihr FSJ in Ghana bei der »Baobab Children Foundation«, seit 2015 studiert sie an der Hochschule Eberswalde Nachhaltige Entwicklung. Noëlle Niemoth absolvierte 2013 ihr Abitur. Heute arbeitet sie im Rahmen eines ökologischen Jahres auf einem biodynamischen Käsehof in Frankreich.