Stockholmsyndrom und Nächstenliebe. Gespräch mit einem Rapper

Edgar Wasser, Tanja Regen

Erziehungskunst | Warum hast du dir »Stockholmsyndrom« als Titel ausgesucht?

Edgar Wasser | »Stockholmsyndrom« ist das Phänomen, bei dem der Entführte mit dem Geiselnehmer sympathisiert. Ich habe das bei diesem Tonträger auf den Menschen bezogen. Das firmiert, glaube ich, oft unter dem Begriff »Optimismus«. Also dieses Phänomen, nur die guten Seiten zu sehen und die schlechten auszublenden.

EZ | Als Schutzmechanismus?

EW | Oder als Überlebenstechnik. Man weiß, dass sehr, sehr viele schlimme Dinge passieren, aber man kann trotzdem lachen und Witze machen.

EZ | Wann hast du angefangen, Musik zu machen?

EW| Mit 14 habe ich angefangen, richtig Musik zu hören. Ich glaube, das ist allgemein ein Alter, in dem man anfängt, sich gezielt für ein bestimmtes Musikgenre zu interessieren. Angefangen, selbst Musik zu machen, habe ich mit 16, 17.

EZ | Zu welchem Genre gehört deine Musik?

EW | Meine Musik ist Rap, ein Element von HipHop.

EZ | Wie bist Du mit 17 dazu gekommen, Musik zu machen?

EW | Ich glaube es ist so, dass Sprechgesang eine Art Musik ist, bei der man schneller den Drang befriedigen kann, selbst Musik zu machen. Weil er nicht sehr viel musikalisches Verständnis erfordert. Man muss ja nur einigermaßen im Takt bleiben und man muss kein Instrument spielen, sondern nur Dinge aufeinander reimen können.

EZ | Aber der Grund, warum du angefangen hast zu rappen, besteht doch nicht darin, dass man nicht musikalisch sein muss, oder?

EW | Der Grund ist, dass ich ihn immer gehört und ein Medium gesucht habe, um meiner Kreativität ihren Lauf zu lassen. Da lag in meinem Fall Sprechgesang sehr nahe.

EZ | Was sind die grundlegenden Themen deiner Lieder?

EW | Ich würde das Stockholmsyndrom als großen Mantel verstehen und die verschiedenen Manteltaschen wären dann gefüllt mit verschiedenen Motiven: zum Beispiel Nationalsozialismus, Kritik üben, Dinge kritisch betrachten, Dummheit, sich abfinden mit Dingen, Dinge, die einen beschäftigen, wenn man betrunken nach Hause geht.

EZ | Sind das deiner Meinung nach die bestimmenden Themen unserer Zeit?

EW | Nein, aber Dinge, die mich beschäftigen. Ich denke eh, dass Musik nicht demokratisch ist. Es bleibt ja auch frei, wer zuhört. Man kann ja auch wegschalten, da habe ich auch nichts dagegen.

EZ | Du schreibst deine Musik also nicht für die Allgemeinheit oder um berühmt zu werden?

EW| Ich mache das für mich selbst. Wobei ich jetzt im Zuge dieser Veröffentlichung bemerkt habe, dass ich mich schon darüber freue, wenn Menschen sich das anhören und gut finden und einem ein Feedback geben oder Respekt zollen.

EZ | Wie kommst du auf die Ideen deiner Lieder?

EW| Man kann da keine allgemeine Regel sagen. Es gibt ein Lied, »Tecla hat gesagt,…«, das durch ein Gespräch mit einer Person Namens Tecla entstanden ist. Ein Lied also, das durch ein Ereignis entstand. Und es gibt andere, bei denen man sich hinsetzt und sagt: »So, ich will jetzt was schreiben!« Und es gibt welche, die sich über lange Zeit hinweg aufstauen und die man dann irgendwann raus lässt.

EZ | Du nennst dich ja Edgar Wasser, aber das ist nicht der Name, der in deinem Pass steht.

EW| Ja, wobei ich den Namen, der im Pass steht, gar nicht verraten will.

EZ | Bist du davon überzeugt, dass ein Künstler ein Pseudonym braucht?

EW| Edgar Wasser ist nicht weit entfernt von der Person, die ich bin. Aber das bin nicht wirklich alles ich. Und vielleicht brauche ich auch diese Distanz, um Dinge sagen zu können, weil die ja doch auch gehört werden von Menschen.

EZ | Du behandelst öfter das Thema Rassismus. Du bist ja selber kein deutscher Staatsbürger. Kann es sein, dass das daher kommt?

EW| Ich glaube, ich habe Rassismus nie wirklich selbst an mir erfahren. Aber bestimmt sprechen mich diese Themen auch auf Grund der Tatsache an, dass ichmit einer anderen Nationalität in einem »fremden« Land wohne. Die Sache mit dem Rassismus ist folgende: Ich kämpfe nicht dafür, dass Menschen sich alle tolerieren, aber Rassismus und generell schon Nationalität ist etwas, was ich nicht nachempfinden kann. Es muss nicht einmal Nationalstolz sein, aber diese ständige Rückbesinnung auf deine Herkunft, dass viele ihre Identität definieren durch ihr Facebook-Profil plus »wo ich herkomme«, das finde ich dumm! Also dieses ständige »Farbensehen-Wollen«. »Du bist ja jetzt aus diesem Land, hat deine Kultur dich geprägt?« Kultur, … das ist alles sehr abstrakt und doch benutzen es sehr viele Menschen. Es nervt mich!

EZ | Du warst 13 Jahre lang Waldorfschüler. Hat das deine Kreativität unterstützt, geprägt, gefördert, dich mit Menschen in Verbindung gebracht, die kreativ sind?

EW | Die Schule an sich hat mich, was die Musik angeht, nicht geprägt. Ich habe auch durch die Schule nicht viele Menschen kennengelernt, die wirklich Musik gemacht haben.

Ich habe es auch während der Schulzeit auf jeden Fall geheimer gehalten als jetzt. Vielleicht wusste man das, aber ich selbst habe es nie verbreitet. Vielleicht auch weil es mir peinlich war.

Aber vielleicht hat es mir die Waldorfschule ermöglicht, von Leuten umgeben zu sein, die offener sind, ein bisschen anders denken.

EZ | Auch der Nationalsozialismus ist ein wiederkehrendes Thema in deinen Texten. Warum behandelst du ihn so oft?

EW | Weil er mich beschäftigt. Aber ich bin derzeit, glaube ich, auch ein bisschen vergiftet durch Nationalsozialismus, weil ich Dinge immer damit vergleichen muss. Dieses ständige Bedürfnis, irgendwo nationalsozialistische Züge zu sehen, das ist eigentlich schlimm. Aber was mich an dem Thema interessiert, ist diese Symbiose aus Faszination und Ekel. Wobei diese Symbiose mich auch anderweitig sehr beschäftigt, zum Beispiel beim Fernsehen, wenn man schlechte Realityshows anschaut, obwohl man weiß, wie schlecht sie sind. Man guckt es, obwohl man es nicht mag.

EZ | Bei manchen deiner Zeilen fragt man sich, wie sie gemeint sind. Zum Beispiel: »Bücher sind nur gefährlich, wenn Adolf Hitler sie schreibt, also lies doch mal eins...« Würdest du von dir selber sagen, du bist ein belesener Mensch und der Rest der Menschheit sollte mehr lesen?

EW| Ich würde mich nicht als belesen bezeichnen, ich hab’ nicht so viele Bücher gelesen. Aber man trifft immer wieder Menschen, die sagen: »Ich habe noch nie ein Buch freiwillig gelesen, ich hab immer nur in der Schule gelesen«. Und das finde ich schlecht.

EZ | Denkst du wirklich, »die Welt ist zum Scheitern verurteilt, so wie die Weimarer Republik«?

EW | Oft denke ich, dass die Welt zum Scheitern verurteilt ist, ja. Ich bin kein sehr politischer Mensch, auch wenn das durch das Lied vielleicht so scheinen mag. Ich beschreibe nur, wie sich die »Menschenrasse« in meinen Augen entwickelt.

EZ | Wie kommt dann so ein fröhliches Lied wie etwa »The Supremes« zustande?

EW | Widersprüche sind ja in jedem Menschen. »The Supremes« ist aus der Situation entstanden, dass ich dachte: »Heute geht’s mir gut!«

EZ | Was hältst du für die originellsten oder aussagekräftigsten Zeilen in deinen Liedern?

EW | Ich glaube, eine gute ist: »Bin ich besser als der Nazi, der den Ausländer rausschmeißen will, wenn ich den Nazi rausschmeißen will? Natürlich.« Das ist für mich eine Zeile, die aus purer Ironie besteht, die aber richtig ist. Die jeder so unterschreiben würde, obwohl man das Paradoxe daran sieht. In »Hochhäuser« sage ich: »Ich suche nach dem Sinn des Lebens, aber kein Plan, wo. Es gibt keinen Wikipedia-Eintrag, oh …« Die finde ich auch gut, diese ständige Digitalisierung der Welt betreffend. Und noch eine Zeile, die ich gut finde: »Das Leben ist wie nach 'ner Chemotherapie aus dem Krankenhaus kommen und beschimpft werden als Neonazi, doch ich mach das Beste daraus: zieh’ ne Perücke auf und stell mich selber vor das Krankenhaus«.

EZ | Was wäre eine Sache, die du befürworten würdest?

EW | Toleranz, Nächstenliebe. Eigentlich Nächstenliebe, ehrlich gesagt. Sei nett zu deinen Mitmenschen.

Link: www.soundcloud.com/edgarwasser/sets/stockholmsyndromep