Von der Lehrerin zur Fundraiserin. FSJ in Guatemala

Ylva Steinberg

»Kommen Sie, gaaanz leer!« Eine Frau mit einem großen Korb voller Einkäufe auf dem Kopf kommt herbeigelaufen und wird von dem Helfer professionell in das schon völlig überfüllte Fahrzeug gequetscht. Der Korb kommt aufs Dach, aber keine Angst: sicherer Transport von Fahrgästen und Gepäck ist Ehrensache! Ich stehe irgendwo mitten im Bus, halte mich mit beiden Händen fest und den Kopf gebeugt – alle außer mir können aufrecht stehen. Ein paar Kinder flüstern mit ihren Müttern auf Pokomchí, ich verstehe nur die Hälfte und spüre die neugierigen, ehrfürchtigen Blicke. Wenn man »Weiße« ist, blicken viele zu einem auf, nicht nur physisch. Viele Menschen halten uns für sehr viel fähiger, intelligenter und reicher als sich selbst, was nicht selten zu Missverständnissen führt. Okay, das mit dem Geld stimmt. Aber ob das auch kulturell und menschlich gilt?

Der Bus schlingert über die unasphaltierte Straße. Ich muss mich gut festhalten. Eine ältere Frau in typischer Tracht verliert den Halt, rutscht auf mich zu und schaut mich entschuldigend an, als sie meinen Bauch umarmt.

Als ich vor fast einem Jahr hier in San Cristóbal Verapaz ankam, war ich wie ein Baby; ein Neugier erregendes, aber noch unproduktives Mitglied der Gemeinschaft. Alles war neu: das Klima, die farbenfrohen Häuser und Kleider, die Gerüche, die Sprachen, das Essen. Bewusst war ich mit wenigen Erwartungen gekommen und saugte wie ein Schwamm alles Neue in mich auf.

Freundlich und mit viel Geduld wurde ich in meiner Gastfamilie und an meinem Arbeitsplatz angenommen. Ich hatte keine Spanisch-, geschweige denn Pokomchí-Kenntnisse, dafür viele Fragen, war jedoch manchmal unsensibel für die andere Kultur. Die Pokomchí-Maya sind eine der 22 Mayakulturen Guatemalas, die jeweils ihre eigenen Sprachen, Trachten und Bräuche haben. Ich konnte keine Lasten auf dem Kopf balancieren, nicht weben und keine Tortillas machen – musste also aus ihrer Sicht als lebensuntauglich gelten, und trotzdem begegnete man mir offen und respektvoll.

Durch die Freiwilligenvermittlung Proyecto Mosaico war ich ein bisschen vorbereitet auf das noch vom Bürgerkrieg traumatisierte Land und lebte mich schnell ein. Da ich gerade erst mein Abitur gemacht hatte, stand ich ohne besondere Spezialisierung da und musste mir meine Arbeit selbst suchen. Letztendlich habe ich viel Englisch unterrichtet, zwischenzeitlich auch ein wenig Sport und Kunst – vor allem in zwei Dorfschulen, aber auch in kleinen, lerninteressierten Gruppen. Natürlich kann man Mittelstufenschülern in einem Jahr mit einem Nachmittag pro Woche keine Basiskenntnisse in Englisch vermitteln. Aber mit null Erfahrung und viel Euphorie fing ich einfach an und es machte allen Spaß. Für die Lehrerinnen war es eine kleine Entlastung, da sie 60 bis 70 Schüler (drei Klassen) allein unterrichten müssen.

Spielball westlicher Interessen

Es ist heiß. Der Bus wird immer voller und jetzt quetscht sich der Helfer nach und nach zu allen hindurch, um das Fahrgeld einzukassieren. Es ist das Land des ewigen Frühlings – für Norddeutsche eher des ewigen Sommers. Hier wachsen so ziemlich alle Früchte, die bei uns nicht wachsen. Je nach Vermögen werden dreimal täglich verschiedene Bohnen mit Tortillas gegessen, manchmal auch Suppe. Wer es sich leisten kann, isst auch Nudeln, Gemüse, Brot zum Kaffee und viel Fleisch. Interessanterweise sind Fastfoodketten hier genauso teuer wie bei uns, sodass es sich kaum jemand leisten kann, dort zu essen – ich kaufe mir lieber im Park gegrilltes Fleisch mit Beilagen, einen Tee und zum Nachtisch Milchreis für insgesamt zwölf Guatemaltekische Quetzal (rund 1,25 Euro), statt ein kleines Burger-Menü für 35 GTQ.

An der Endhaltestelle angekommen, steige ich mit wackeligen Knien aus. Freiwillige Helfer kommen wegen der weiten Anfahrt an meinen »Einsatzort« selten. Die Schüler sind nicht daran gewöhnt, sich am Unterricht zu beteiligen, da sie fast nur aus

Büchern lernen. Trotzdem ist jeder einzelne Nachmittag ein Geschenk. Die Muttersprache der Kinder ist Pokomchí. Spanisch fällt ihnen schwer und mit mir – einer anfangs Fremden – zusammenhanglose Englisch-Silben zu sprechen, ist ein großer Vertrauensbeweis. Am schönsten sind das gemeinsame Singen, ihre Freude, als ich beginne, Trachten zu tragen und die Fragestunden auf Pokomchí, als sie neugieriger werden. Vielleicht habe ich ihnen mehr Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein vermittelt als Englisch. Sie haben mich dafür gelehrt, umsichtig und mutig im Alltag zu sein.

Es gab so viel, das ich ausprobieren und lernen durfte: Spanisch, Webseiten aktualisieren, Unterrichten, Dolmetschen, ein wenig Pokomchí … Doch wenn ich ehrlich bin, habe ich hier nur wenig »verbessert«. Natürlich ist es begrüßenswert, wenn ausländische Teams mit ihren Werten und an ihr Land angepasstem Wissen von gesunder Ernährung zum Beispiel herkommen, um zu helfen, umsonst Hasenscharten operieren; wenn sie effiziente Öfen und Wasserfilter verteilen und verrottete Zähne ziehen. Aber es erscheint mir paradox, die Probleme, die hauptsächlich durch die Einführung »westlicher« Nahrung und Technik entstanden sind und dadurch, dass Guatemala bis heute ein Spielball ausländischer Interessen ist, mit »westlicher« Technik bekämpfen zu wollen. Missverständnisse sind programmiert. So wurde eine Frau mit den ihr gerade gegebenen Kopfschmerztabletten um den Kopf gebunden gesehen – schließlich sollen sie dort auch wirken!

Niemand will in die Ernährungssouveränität der Dörfer investieren

Pablo Juq Saquí geht das Problem mit seinem Maya-Saatgut-Projekt anders an. Beeindruckt von seiner Idee, Arbeit und Person begleitete ich ihn ein paar Mal und begann, mich für die Förderung seiner Arbeit einzusetzen. Er arbeitet mit Familien in den teilweise sehr abgelegenen Dörfern San Cristóbals. Sie säen, pflegen und ernten die alten Kultursorten der Region, die viel nahrreicher, resistenter und anspruchsloser sind als die so hoch- gepriesenen Hybridsorten. Dadurch werden die Sorten erhalten, zugleich zeigt diese Arbeit vielen Familien einen Weg aus der hier sehr verbreiteten Mangelernährung und sie stärkt das kulturelle Selbstbewusstsein der Familien als Maya. Niemand will wirklich Geld darin investieren, dass indigene Dörfer Ernährungs-Souveränität erlangen, und so ist vor allem Fundraising gefragt. Dieses Projekt begleitet mich nun bis nach Deutschland.

Verschwitzt stehe ich vor dem Schultor. Als die Schüler mich sehen, begrüßen sie mich laut und freudig: »C’aleen Ylva! Good afternoon!« Es ist gut, dass ich nicht, wie geplant, nur fünf Monate geblieben bin.

An dem Maya-Saatgut-Projekt beteiligen sich einige Guatemalteken als freiwillige Helfer. Doch die Finanzierung des Projektleiters musste für das Jahr 2015 von der deutschen Organisation »Wege zur einen Welt« und von privaten Spendern übernommen werden. Die guatemaltekische Regierung hatte ihre zugesagte Finanzierung kurzfristig abgesetzt. Ziel ist es, dass sich das Projekt in ein paar Jahren selbst trägt, zurzeit ist es aber von privaten und institutionellen Spendengeldern abhängig. Die Besuche der Freiwilligendienstler haben gezeigt, dass ihr Interesse die Menschen hier ungeheuer motiviert. Pablo freut sich über Kontakte zu Interessierten und angehenden Freiwilligen!

Zur Autorin: Ylva Steinberg war Waldorfschülerin in Hitzacker, Itzehoe, Lübeck und Kiel. Nach dem Abitur absolvierte sie ein FSJ in einem Kulturzentrum in San Cristóbal Verapaz, Guatemala, und lernte die Kultur der Maya-Pokomchí kennen. Sie studiert Psychologie an der Humboldt-Universität in Berlin, gründete ein Kollektiv für soziale Plastiken und ist zuständig für die Finanzierung eines lokalen Projektes zur Förderung von Ernährungsautonomie und Erhaltung ursprünglichen Saatguts.

E-Mail: ylva-charlotte@gmx.net