Wem hilft die Freiwilligenarbeit?

Klara Brunner

Zu unserem Erstaunen und Erschrecken waren die Kinder nicht zufrieden damit. Aus unserer europäischen Perspektive hatten wir erwartet, dass sie, weil sie arm sind, glücklich sein würden, wenn sie von uns »bereichert« würden. Wir erhofften uns leuchtende Kinderaugen und etwas »Weihnachtlichkeit«.

Wir wurden schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: Was wir bei unserer kleinen »Bescherung« erlebten, war das Verlangen nach Geschenken und das Desinteresse an der Sache, die geschenkt wurde. Wir waren enttäuscht, die Kinder auch.

Dieses Erlebnis brachte mich zum Nachdenken: Weltweit ist wohl Weihnachten die absolute Hochsaison für Hilfsorganisationen und Spendensammlungen. So voll wie die meisten Kirchen am Heiligen Abend sind, so ist es auch mit vielen Spendenkassen. Ist das negativ? Ist es nicht gut zu spenden? – Sicher. Jedoch sollte jede spendende Person auch für das einstehen können, was sie unterstützt. Und das bedarf eines Blicks hinter die Kulissen der Entwicklungszusammenarbeit.

Die deutsche Schule in Arequipa, eine Eliteschule, organisiert auch alle Jahre wieder »Weihnachtswohlfahrten« in finanziell benachteiligte Stadtrandgebiete. Ich durfte als Freiwillige des betroffenen Viertels dabei sein und kam danach geschockt nach Hause: Die Schüler wurden aus dem Unterricht gezogen, aus den Lautsprechern dröhnten schrille US-amerikanische Weihnachtshits und die deutschen Schülerinnen und Schüler tanzten dazu. Später verteilten sie Geschenke an die Kinder des Viertels: rosa Plastikbarbies und Plastiksoldaten in Tarnfarben, die über den Boden robben konnten. Beim Mittagessen brachen dem ersten Püppchen die Arme ab. Ich war fassungslos.

Vor meiner Rückreise nach Deutschland musste ich meinen Kleiderschrank ausräumen und viele Kleidungstücke verschenken. Ich entschied mich dazu, sie mit nach La Mansión zu nehmen. Beim Verteilen der Kleidungsstücke spürte ich ein befremdliches »Haben-Wollen« unter den Familien. Die Mütter stritten sich förmlich um meine Kleidung. Ich fühlte mich machtlos. Einerseits spürte und kannte ich die Bedürftigkeit, andererseits bemerkte ich diesen unheimlichen Drang nach mehr – ohne Reflexion und Sättigung.

Es meinen doch alle nur gut

Wie unsere Spende völlig ohne Bezug zu der empfangenden Person war, so kam sie eben auch dort an: Die deutschen Schüler sahen nicht jedes einzelne Kind, sondern stellten ihre »barmherzige« Tat in den Mittelpunkt. Mir ging es nicht anders: Ich wollte meine Kleider loswerden, und sah die einfachste Möglichkeit darin, sie nach La Mansión mitzunehmen. Was für eigennützige Motive!

Die Mütter des Horts beklagten sich zu einem anderen Zeitpunkt darüber, dass sie ihren Kindern mit Geschenken gar nicht mehr gerecht werden könnten. In der Weihnachtszeit werden diese so überladen mit Bescherungen, dass die persönlichen, wirklichen Geschenke in den Hintergrund treten. Das echte, kleine Licht verliert durch viele bunte, blinkende Plastiklichterketten seine Leuchtkraft. Obwohl es doch alle nur gut meinen …

Entscheidend ist meiner Meinung nach der Beweggrund, die Ausführung und der Umgang zwischen spendender Gruppe und empfangender Gruppe! Solange eine Initiative damit wirbt, dass sie »Armen« hilft, kann sie meiner Meinung nach einen ebenbürtigen Umgang unter allen Beteiligten des Projekts nicht pflegen. Jemanden als »arm« zu bezeichnen, steht mir nicht zu. Erstens ist der Begriff »arm« relativ, ganz abhängig von meinem sozialen Umfeld und der jeweiligen Perspektive. Zweitens entsteht durch den Begriff eine Ungleichheit, die sich automatisch von der finanziellen Armut auf andere Bereiche ausweitet, sodass ein Kontakt auf gleicher Augenhöhe schwer wird. Wir stellen uns als »die Reichen« dar und bezeichnen die anderen als »die Armen«. Das hört sich an, wie eine graue Masse Bedürftiger, ohne menschliches Antlitz.

Wie kommen wir auf die Idee, dass jemand beschenkt werden möchte? Warum fragen wir nicht nach der Bedürftigkeit? Stattdessen bevormunden wir die hungrigen Münder und stopfen sie einmal im Jahr an Weihnachten mit gut gemeinten europäischen Konsumgütern voll.

Es wird immer mehr zur Gewohnheit, nach Abschluss der Schullaufbahn längere Zeit im nichteuropäischen Ausland zu verbringen, bevorzugt im globalen Süden. Dabei spielen Sprachkenntnisse und Qualifikationen in der zu verrichtenden Tätigkeit eine kleine Rolle, Hauptsache sind Offenheit, Interesse und Abenteuerlust. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass ein Freiwilligenjahr einiges verändert: Mir wurden viele Selbstverständlichkeiten deutlich und ich hinterfragte mein Verständnis von »normal«. Ich sehe nun viel mehr Richtungen, weniger vorgegebene Wege und mein Leben gewann an Tiefe. Ganz zu schweigen von dem Schatz, der durch die vertraut gewordene Sprache und die Freundschaften entstand, in mir schläft und jederzeit bei einer Rückkehr erwacht. Ich durfte wachsen.

Postkolonialer Aktionismus?

Das Weltwärts-Programm des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, das jährlich viele Freiwilligenjahre ermöglicht, kann ich auch nicht unterstützen. Allein in den Begriffen »Freiwilligendienst«, »Entsendeorganisation«, »Einsatzstelle« und »Freiwilligenentsendung« steckt ein postkolonialer Aktionismus. Er erinnert mich mehr an Entwicklungshilfe als an Zusammenarbeit auf Augenhöhe und gegenseitigen Austausch. In diese Helferinnenrolle wurde ich leider oft gesteckt. Allein die Tatsache, dass ich als 18-jährige Abiturientin in einem fremden Land Englischunterricht geben soll, ist merk­würdig. Ich war plötzlich Lehrerin unter anderen studierten Lehrkräften und hatte doch keine Ahnung. Der Großteil des Kollegiums wusste nicht einmal über diesen Sachverhalt Bescheid. Es kam zu Irritationen und Missverständnissen. Die Verantwortung, die wir tragen sollten, war sehr groß.

Es war unangenehm, als ich einer dreißigjährigen Mutter von drei Kindern etwas vorschreiben sollte. Dieses Ungleichgewicht kam durch die Freiwilligenarbeit zustande. Meiner Meinung nach bedarf es einer Umgestaltung der Freiwilligen-Vorbereitung im Herkunftsland (Rassismuskritik, postkoloniale Strukturen, genaue Vorstellung der Aufgabenbereiche). Außerdem bedarf es dafür vor Ort geschulte Mentoren, die die Freiwilligen und Praktikanten begleiten können. In vielen Bereichen ist Freiwilligenarbeit nicht das passende Modell. Zum Beispiel bei der Betreuung von Straßenkindern oder von Waisen bedarf es eher an ausgebildeten pädagogischen Fachkräften und vor allem eine größere Kontinuität! Ich denke, dass der Gedanke »Freiwillige entsenden/schicken« umgewandelt werden sollte in »internationaler Austausch ermöglichen/ein Jahr mit mir alleine«. Ich persönlich möchte die Erfahrung dieses Jahres in Peru auf keinen Fall missen, trotz der Kritik.

In Internetblogs wird vor allem über die fehlenden Dinge, die Unannehmlichkeiten oder exotische Traditionen erzählt. Zum Beispiel wird über nicht funktionierende Busverbindungen, Unpünktlichkeit, Trommeln in traditioneller Kleidung oder Ähnliches berichtet. Wo bleiben die menschliche Offenheit, die überall präsente Freude an Musik und Tanz und die unglaublich entspannte Haltung trotz Zeitnot? Es entsteht ein verzerrtes, stereotypes Bild. Wer weiß denn, dass es in Peru Kinos, Crêperien und luxuriöse Reisebusse gibt?

Ständig ging mir eine Frage durch den Kopf: Ist meine Arbeit überhaupt sinnvoll?

Jetzt weiß ich, dass die Arbeit vor allem Hoffnung geschenkt hat. Meine Mitfreiwillige und ich kamen immer wieder in das Stadtrandviertel, um gemeinsam Unmög­liches zu versuchen, immer wieder von Neuem. Es handelt sich nicht darum, die ganze Welt zu verändern. Freiwillige sind keine Hilfskräfte. Wir sind die Lernenden.

Zur Autorin: Klara Brunner (21) verbrachte 2013/14 ein Jahr in Arequipa/Peru als »weltwärts«-Freiwillige und schloss 2015 dort ein dreimonatiges Praktikum im Waldorfkindergarten an. Zur Zeit macht sie eine Ausbildung zur Erziehenden am Rudolf-Steiner-Institut in Kassel.