Ich war stolz auf meinen Vater

Henning Köhler

Mehr als jeder zehnte Befragte gab an, sich einen »Führer« zu wünschen, der »Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert«. Fast 25 Prozent plädierten für »eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert«. 34 Prozent äußerten, Deutschland sei »in gefährlichem Maße überfremdet« und »die Ausländer [kämen] nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen.«

Schlimmer noch: Es ist wieder hoffähig, im Zusammenhang mit der Zuwanderung über genetische Minder- oder Höherwertigkeit zu sinnieren. Stichwort: Sarrazin-Debatte. Dazu passt die Virulenz sozialdarwinistischer Haltungen mit teils neoliberaler, teils rechtsextremer Färbung.

Wenn Neonazis Obdachlose misshandeln, liegt das auf derselben Gesinnungslinie wie die Denunziation Hilfebedürftiger als dekadente Sozialschmarotzer.

Nur zehn Prozent der Deutschen sehen einen Sinn darin, sich politisch zu engagieren. Das passt ins Bild. Natürlich neigen politisch Frustrierte nicht automatisch zum Rechtsextremismus. Aber sie halten unsere Parteiendemokratie für eine Farce, was ja nicht ganz von der Hand zu weisen ist.

Und da denken sich eben manche: Eine Diktatur wäre zumindest ehrlicher als dieses Affentheater.

Aber es gibt auch ermutigende Zeichen. Das Erstarken der Demokratiebewegung; ziviler Ungehorsam und bürgerschaftliches Engagement auf vielen Ebenen; der Ruf nach einer grundlegenden Reform des Geldwesens; Mehrheiten gegen unsinnige Militäreinsätze; die plötzliche Popularität der keineswegs neuen Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens … man darf hoffen.

Wir stehen am Scheideweg. Die jetzt heranwachsende Generation wird weitreichende Richtungsentscheidungen zu treffen haben. Was können wir Älteren dazu beitragen?

Rudolf Steiner hat einmal gesagt, die Kinder kämen heute anders zur Welt als in früheren Zeiten.

Sie seien schon von Geburt an innerlich ausgerichtet auf den großen Dreiklang der Zukunftsideale Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit. Das »Wissen« um diese Ideale eigne ihnen als etwas, das sie aus der geistigen Welt mitbringen. Man müsse sie gar nicht durch Moralerziehung oder das Training ihrer sozialen Kompetenzen darauf hinlenken. Vielmehr sei es unsere Aufgabe, dieses schlummernde Wissen in den Kindern aufzuwecken, anders gesagt: ihnen zu helfen, dass sie sich daran erinnern.

Dazu ist vor allem eines nötig: Wir müssen das, worauf die Kinder vorausahnend eingestimmt sind, in uns selbst lebendig erhalten und vorleben. Ob im Elternhaus, im Kindergarten oder in der Schule: Wenn jene großen Verheißungen unser Denken durchlichten, unser Herz erwärmen und unser Handeln bestimmen, werden sich die Kinder dankbar daran orientieren. Ein wahrer sozialer Idealist sollte der Erzieher sein.

Wie stolz war ich als Kind, wenn mein Vater seine Stimme gegen Ungerechtigkeit und Machtwillkür erhob!