Minderwertiges Leben?

Henning Köhler

Heute entscheiden sich im Falle eines pränatal diagnostizierten Down-Syndroms 90 Prozent der betroffenen Eltern gegen das Kind. Viele berichten, sie seien unter Druck gesetzt worden. Menschen mit Down-Syndrom gelten als Ballastexistenzen. Natürlich argumentiert man heute nicht mehr rassenhygienisch, sondern utilitaristisch. So oder so: Die betroffenen Menschen werden als lebendige Missgeschicke gebrandmarkt. Abtreibung ist in Deutschland bis zum Entbindungstermin gesetzlich erlaubt, wenn es für die Mutter mit hohen – körperlichen oder psychischen – Gesundheitsrisiken verbunden wäre, das Kind zu gebären und großzuziehen. Fragen wir also zunächst: Gefährdet ein Kind mit Down-Syndrom tatsächlich in schwerwiegender Weise die Gesundheit seiner Mutter?

Ich hatte berufshalber viel mit betroffenen Eltern zu tun. Fazit: Das waren keine psychischen Wracks. Im Gegenteil staunte ich oft über ihre innere Stärke. Fast alle bejahten meine Frage, ob sie sich noch einmal für das Kind entscheiden würden. Dieses aus Liebe gesprochene Ja war auch ein nachträgliches Ja zu den belastenden Konsequenzen der Entscheidung. Positive Erfahrungen überwogen jedoch. »Das Leben in einer Familie mit Down-Syndrom [ist] keinesfalls nur von Leid geprägt«, bestätigt Radtke. »Und fragt man schließlich die Menschen mit Down-Syndrom selbst, wird man von ihnen kaum jemals hören, dass sie nicht gerne auf der Welt wären.«

Birnbacher meint, die moralischen Rechte der Eltern hätten gegenüber denen des Fötus Vorrang. Föten könnten noch nicht als vollgültige Personen betrachtet werden. Daher sei das Lebensrecht eines Ungeborenen dem Elternrecht auf selbstbestimmtes Leben nachgeordnet. Dies gelte besonders für behinderte Ungeborene. Ich urteile hier nicht über Abtreibung im Allgemeinen, sondern wende mich gegen die Geringschätzung behinderten Lebens. Eine wirklich freie Entscheidung könnten die Mütter erst dann treffen, wenn Menschen mit besonderem Betreuungsbedarf in unserer Gesellschaft vorbehaltlose Akzeptanz erführen und alle nur erdenkliche Unterstützung erhielten. Dafür sollten sich Medizinethiker wie Birnbacher stark machen. Ein Kind mit Down-Syndrom gefährdet niemandes Gesundheit oder Lebensglück, nur weil es behindert ist! Die Eltern brauchen materiellen, aber auch moralischen Rückhalt. Das ist eine Bewusstseinsfrage.

»Forscher werden bald routinemäßig das Erbgut eines Ungeborenen auf genetische Defekte untersuchen. Die Zahl der Abtreibungen wird steigen«, meldet der Spiegel am 18. Juni und schließt die Frage an, ob es vielleicht nötig wäre, »unser Verhältnis zum Anderssein zu überdenken«. Ich denke, das ist dringend vonnöten!

Link: Designerbabys und die Verhütung »erbkranken Nachwuchses«