Tag des Asyls – ein Aufruf

Henning Köhler

In den letzten zehn Jahren starben etwa 7.000 Flüchtlinge aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten beim Versuch, die Außengrenzen der EU zu überwinden, um Verfolgung, bewaffneten Konflikten oder bitterer Armut zu entgehen. Als Beat Leuthard 1994 sein Buch »Festung Europa« veröffentlichte, wurde er in der Luft zerrissen. Keine Rede könne davon sein, dass sich die EU ohne Rücksicht auf Verluste gegen hilfesuchende Menschen abschotte.

1999 folgte Leuthards Buch »Berichte von den Grenzen«. Er legte Beweismaterial vor. Für viele war das neu und verstörend. Inzwischen hat man sich daran gewöhnt. »Die Festung Europa wird nicht mehr geleugnet, sie wird verteidigt« (Heribert Prantl). Schon 2007 beklagte der damalige Bundespräsident Horst Köhler: »Man verweist Kritiker kalt lächelnd auf bestehende Verträge.« Innenminister Hans-Peter Friedrich ist das beste Beispiel.

Die rund 400 Toten vor Lampedusa sind nicht »verunglückt«. Franz Alt stellt richtig: »In Wirklichkeit haben wir sie ermordet.« Durch eine mörderische EU-Politik, an der Deutschland wesentlichen Anteil hat (vgl. Zeit-online, 8. Oktober). Unter den Opfern waren, wie fast immer, viele Kinder. Das setzt mir besonders zu. Ich nehme an, Ihnen auch.

Kommen Kinder aus Elends- oder Krisengebieten halbwegs heil bei uns an (viele sind traumatisiert), dürfen sie nicht mit einem Empfang rechnen, wie er kindlichen Gästen gebührt. Das heimliche Motto für den Umgang mit Asylsuchenden lautet: Keine Bleibe-Anreize setzen. Davon sind natürlich auch die Kinder betroffen. »2012 wurden insgesamt 6.919 Abschiebungen … vollzogen. Minderjährige werden nicht gesondert erfasst« (Drucksache des Bundestages). Ein internationales Wissenschaftlerteam befragte im Auftrag der UNICEF 164 Kinder und 131 Erwachsene, die aus Deutschland und Österreich in den Kosovo abgeschoben wurden. Jedes zweite Kind leidet unter Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen infolge der Prozedur.

In Frankreich führte die Abschiebung einer 15-jährigen Roma zu massiven Schülerprotesten. Präsident Hollande wurde von Jugendlichen gezwungen, einzulenken! Na bitte, geht doch. Umfragen zufolge sprechen sich jüngst immer mehr Deutsche gegen die verfehlte Asylpolitik aus. Ein Lichtblick.

Und ich kann nicht anders, als Sie, liebe Leser, wieder mal mit meinem Traum von einer in humanitären Fragen vorbildlich engagierten Waldorfbewegung zu belästigen: Wie wäre es, wenn alle unsere Schulen von Zeit zu Zeit – sagen wir halbjährlich – einen »Tag des Asyls« für die Oberstufe ausrichten würden? Man könnte Betroffene einladen, über ihre Schicksale zu berichten. Dazu Referenten von Pro Asyl und Kommunalpolitiker, die Farbe bekennen müssten. Man könnte Appelle formulieren, demonstrieren, Hilfsaktionen organisieren.

Die Schülerinnen und Schüler wären begeistert, daran habe ich keinen Zweifel.