Was haben verlängerte Laufzeiten mit unseren Kindern zu tun?

Henning Köhler

Die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke lässt befürchten, dass ein neuer Kernenergie-Boom bevorsteht. Dafür muss es Gründe geben.

Nach seriösen Berechnungen könnten regenerative Energien schon in absehbarer Zeit marktbeherrschend werden. Das liefe auf eine Dezentralisierung der Stromversorgung hinaus und würde die Atomlobby – bestehend aus global agierenden Großkonzernen, Banken und willfährigen Politikern – empfindlich schwächen. Es geht »um ein glasklares Entweder-Oder«, sagt Rainer Baake von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). »Wer heute AKW-Laufzeiten verlängert, wird morgen den Vorrang der Erneuerbaren in Frage stellen.« Satte Gewinne winken. Nach einer Analyse der Landesbank Baden-Württemberg können die Betreiber mit bis zu 70 Milliarden Euro Zusatzprofiten rechnen. Kein Wunder also, dass versucht wurde, die Merkel-Regierung unter Druck zu setzen, etwa durch den »Energiepolitischen Appell«, eine von RWE-Chef Jürgen Großmann lancierte bundesweite Anzeigenkampagne, unterzeichnet von 40 Topmanagern und Bankern.

Die Deutsche Bank spricht sich offen für eine »Renaissance der Atomkraft« aus und ermuntert ihre Kunden, daran mitzuverdienen (S-Box Nuklear Power Index Zertifikate). Das hört sich nicht nach ein paar Jährchen Laufzeitverlängerung an. – Hohe Profite auf der einen, Jahr für Jahr 500 Tonnen radioaktiver Müll auf der anderen Seite. Wohin mit dem Zeug? Zum Beispiel nach LaHague und Sellafield (England). Diese Wideraufbereitungsanlagen pumpen täglich rund 10 Millionen Liter kontaminierte Abwässer in den Ärmelkanal und die Irische See. Oder nach Hayek (Russland). Dorthin soll demnächst Nuklearabfall aus dem Zwischenlager Ahaus (NRW) verbracht werden. Hayek ist eine Todeszone. »Diese Anlage versenkt radioaktiven Müll in Seen und Flüssen seit 1949«, schreibt der russische Umweltaktivist Vladimir Slivyak. Das wird auch weiterhin geschehen. Sichere Endlagerstätten gibt es nirgends auf der Erde. – Alles kein Problem. Hauptsache der Rubel rollt. Nach uns die Sintflut. Wer auf Atomkraft setzt, soll niemals sagen: »Den Kindern gehört die Zukunft.« Tatsache ist: Wir verbauen, nein, vergiften sie ihnen. Der Totenkopf auf den undichten Fässern im einsturzgefährdeten Salzbergwerk Asse II bei Wolfenbüttel: ein Sinnbild.

Fast schon wieder in Vergessenheit geraten ist die KiKK-Studie (Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken) von 2007. Durch sie konnte nachgewiesen werden, dass Kleinkinder in der Nähe von Kernkraftwerken einem deutlich erhöhten Risiko unterliegen, an Krebs zu erkranken. Natürlich wurde die Studie mit windigen Argumenten angefochten. Bei nur 16 geprüften Standorten sei der Zufallsfaktor zu berücksichtigen. Reinhold Thiel von der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) kommt nach gründlicher Prüfung der Sachlage zu dem Schluss: »Radioaktive Niedrigstrahlung … bleibt die plausibelste Erklärung für die Krebserkrankungen der Kinder.«

Auch kein Problem. Hauptsache der Rubel rollt. 

Quellen und zum Weiterlesen: Hintergrund 4/10 (www.hintergrund.de); Graswurzelrevolution 10/10; Dummy 24/09