Geschichtsvergessener Mief

Carolin Hristev

Sehr geehrte Damen und Herren,

als mir vor kurzem zufällig die neueste Ausgabe der Erziehungskunst – zum Thema Rollenbilder und Geschlechteridentitäten – in die Hände geriet, fing ich als ehemalige Waldorfschülerin neugierig an, zu lesen.

Jedoch schon die merkwürdige Gegenüberstellung im Editorial ließen mich stutzen. Es verwundert, dass dem Autoren nichts Besseres einfiel, als dem »Machthaber« in der Frau das »schwache Geschlecht« im Mann gegenüber zu stellen. Als geradezu geschichtsvergessen möchte ich es bezeichnen, wenn auch heute immer noch, und immer wieder, das Weibliche, und ausschließlich das Weibliche, negativ konnotiert wird.

Der Artikel »Geschlechterrollenbilder heute« ergeht sich in bedeutungsschwangeren Andeutungen. Was, um alles in der Welt, lernt denn ein kleines Mädchen, das einem seiner Mütter eine Vaterrolle zuschreibt?

Als mir die Leseempfehlung zu »Von Höllenhunden und Himmelswesen« unterkam, in der allen Ernstes ein Buch angepriesen wird, das den Feminismus zum Erzfeind erklärt, war mir klar: Diese Zeitschrift ist nichts für mich als eine Frau, die ungeheuer dankbar dafür ist, wählen gehen zu können und einen Beruf ausüben zu dürfen ohne die schriftliche Erlaubnis ihres Mannes. Selbstverständlich gab es krude Auswüchse des Feminismus. So wie alles seine kruden Auswüchse hat. Doch wer den Feminismus per se verdammt, sollte eventuell in der eigenen Seele suchen, woher diese Wut auf die Bewegung kommt, mit der die europäischen Frauen sich Freiheit und Macht erkämpft haben. Verurteilt Gerhard Amendt auch die Emanzipationsbewegungen Amerikanischer Schwarzer, ihren Kampf um Wahlrecht und gesellschaftliche Mitsprache, nur, weil auch aus ihr »krude Auswüchse« hervorgingen?!

Fazit: Mal mehr, mal weniger subtil schlägt der Leserin aus dem Heft jener konservative Mief entgegen, der umso mehr verstört, desto fortschrittlicher der Anstrich, den er sich gibt.

Mit freundlichen Grüßen,

Carolin Hristev