Selektive Wahrnehmung

Markus Schulze, Thomas Voß

Ganser nimmt bezüglich der politischen Aktivitäten der USA und der Nato eine sehr kritische Position ein, was zu begrüßen ist, verlässt dabei aber gelegentlich den Bereich begründbarer Tatsachen und formuliert Vermutungen als Gegebenheiten. Darüber hinaus verwundert einen die ausschließliche Konzentration auf den Nachweis »krimineller« Aktivitäten bei den USA und der Nato, wobei der Autor eine ähnlich kritische Herangehensweise bei anderen Staaten, z.B. Russland, vermissen lässt. Im wissenschaft­lichen Diskurs wird Gansers akribisches Zusammentragen von Geheimdienstaktivitäten von manchen Autoren durchaus gewürdigt, seine Beurteilung politischer Konstellationen insgesamt aber als einseitig bis hin zu »verschwörungstheoretisch« betrachtet.

Der 11. September muss nach Gansers Meinung neu untersucht werden. Die Forschung drehe sich heute um den dritten Turm des World Trade Centers, dessen Einsturz ungeklärt sei. Seine unterschwellige Botschaft ist, dass die USA die Klärung dieses Einsturzes auch gar nicht wünschen. Anstatt auf die aktuelle Forschungslage konkret Bezug zu nehmen, verweist er auf Baustatiker der ETH-Zürich, die eine Sprengung des dritten Turms vermuten. Desweiteren sei mit Bushs Schuldzuweisung, dass es sich bei den Tätern um Al Kaida und Osama Bin Laden handelte, das Feindbild »böser Muslim« erst geschaffen worden, worauf­hin die Bombardierung Afghanistans erfolgt sei. Und die Meinung von »uns« (wen genau meint Ganser hier eigentlich?) sei, dass wir »uns« doch nur gegen die bösen Muslime verteidigen. Sowohl bei der Annahme der »Erschaffung« des Muslims als Feindbild durch George Bush als auch bei der Aussage über »unsere« Meinung vollzieht Ganser unzutreffende Verallgemeinerungen. Eine kritische Sicht des militärischen Einsatzes in Afghanistan haben nicht zuletzt verschiedene Medien der Bundesrepublik geliefert, die von ihm aber in allzu pauschaler Weise unter dem Begriff »Massenmedien« als einseitig proamerikanisch dargestellt werden.

Danach springt er zum Irakkrieg von 2003, dessen Legitimation durch Massenvernichtungswaffen des Irak nicht gegeben war. Das wissen wir aber nicht erst von Ganser, sondern bereits unter anderem durch unabhängige Journalisten, die sich immer wieder kritisch mit der Politik der Amerikaner, allerdings nicht nur dieses Staates, auseinandersetzten. Der Ukrainekonflikt wird ähnlich einseitig dargestellt. Auch hier geht der Autor von einem durchaus interessanten Detail aus, nämlich der Äußerung einer Mitarbeiterin des amerikanischen Außenministeriums, in der diese aussprach, wen sich die USA als neue Machthaber in der Ukraine wünschten. Damit wird die Vermutung gestützt, dass das Blutbad vom 20. Februar 2014 auf dem Maidan von den USA und der Nato »herbeigeführt wurde«. »Unsere Massenmedien« würden zu diesen Problemen aber nichts berichten, nur von der Besetzung der Krim durch die »bösen Russen«. Spätestens hier muss man sich erstaunt fragen, welche Medien Ganser zur Kenntnis nimmt und welche nicht, oder, was wahrscheinlicher ist, ob es ihm darum geht, gezielt die Vielfalt einer kontroversen und in Teilen durchaus kritischen Öffentlichkeit zu diskreditieren.

Zu den Autoren: Markus Schulze ist Deutsch- und Biologielehrer; Thomas Voß ist Geschichts- und  Russischlehrer; beide Freie Waldorfschule Köln.