Like a satellite

Ute Hallaschka

Von Globalisierung hatten die Wikinger keine Ahnung – nach Amerika sind sie trotzdem gefahren. Ebenso wie die Händler, die auf dem Weg nach Asien verschneite Pässe im Himalaya überquerten. Zu Wasser und zu Land, ob Krieger, Händler, Nomaden oder ganze Völkerscharen – der Mensch war schon immer weltweit unterwegs, in Bewegung seit Anbeginn. Schon das Bild der Vertreibung aus dem Paradies handelt von der Weltenwanderung der Menschheit. Sie hat uns längst über die Grenzen der Erde hinausgeführt, ins All, bis zum Mond und zugleich ins Jenseits der Materie, in die Spaltung ihrer Struktur. Der Globus ist ausgeleuchtet und vernetzt, er lässt sich theoretisch zu jeder Zeit und an jedem Ort an den weltweiten Verkehrsfluss anschließen.

Auf Strahlen und Wellen reisen nicht nur Informationen, sondern es werden handfeste Dinge in Bewegung gebracht, unsichtbar über weite Strecken veranlassen wir Handlungen. Schaut man so von außen auf die Welt der Gegenwart, erscheint sie geradezu magisch. Ein Mensch der Vorzeit, der zufällig bei uns vorbeikäme, müsste er sich nicht wundern, wie weit wir es gebracht haben? Ja, wahrscheinlich würde er sich über den Aufwand wundern, den wir treiben, und was im Hinblick auf die Lebensqualität dabei herauskommt.

Was aber die Magie angeht, ist uns der Mensch der Vorzeit an Erfindungsgeist weit überlegen. Wir sind es doch, die staunen über seinen Weltzusammenhang. Er besaß nicht unsere Kenntnisse von der physischen Realität und bewegte sie doch. Sollten wir heute den Hebel erfinden, Pyramiden bauen oder Kathedralen, wären wir arm dran. Kein Mensch wüsste, wie das geht, und unbezahlbar wäre es sowieso. Irgendwie waren sie origineller, unsere Vorfahren. 

Globalisierung als Neuerfindung der Gegenwart 

Doch man muss gar nicht so weit gehen, es gibt nahe liegende aktuelle Welten, die uns ganz fremd sind, auch die Forschung weiß kaum etwas darüber, wie sie inzwischen bekennt. Das eine ist die Welt über unseren Köpfen, das Reich der Wolken, und das andere ist der Boden unter unseren Füßen, die Organisation der Lebenskräfte im Erdreich. Es gibt eigentlich nur einen einzigen Bereich, bei dem wir im Vergleich mit unseren Vorfahren wirklich punkten können: die Möglichkeiten der zwischenmenschlichen Kommunikation. Wir vermögen uns heute ein Bewusstsein von der gesamten Menschheit zu bilden – und zwar aus einem individuellen und nicht aus einem kultisch-priesterlich erhöhten Bewusstsein von Auserwählten früherer Zeiten heraus. Über alle Grenzen des eigenen Standorts hinaus, über Familie, Sippe, Blut, Nationalität, Volk, Land und Leute, können wir uns jederzeit ein Bild von der Lage machen, in der ein anderer gerade ist. Wie lebt irgendwo jemand auf der Erde? Das kann ich erfahren, wenn ich will. Wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit sind wir so im Bewusstsein verbunden mit dem Leben der anderen.

Wenn von Globalisierung als Neuerfindung der Gegenwartskultur die Rede ist, dann kann redlicherweise nur dies gemeint sein, alles andere scheint Neuauflage von Vergangenem. Globalisierung ist eine Bewusstseinsform. Es ist nicht der Sack Reis, der in Indien oder China umfällt – da fiel er schon immer, wir wussten bloß nichts davon. Und ebenso flog der Schmetterling, dessen Flügelschlag am anderen Ende der Welt etwas in Bewegung setzt. Wirklich neu ist nur die Tatsache der Verständigung des Bewusstseins mit sich selbst. Jeder einzelne Mensch ist eine Neuheit, wenn er sich angesichts der globalen Verhältnisse heute fragen muss: wer bin ich und wer bist du? Stecke ich in der Zwangsjacke der unsichtbaren Dinge und Vorgänge, die da ablaufen, oder stecken die Dinge, samt ihrer vermeintlichen Zwänge, in meinem Kopf; wie weit ist die Welt inzwischen real meine Vorstellung von ihr? Denn so vieles in der Welt, ihre Orte, Wege, Dinge, ihre Wirklichkeit, bis zum Kurswert des Geldes, ist in den Bereich der individuellen Aufmerksamkeit und Empathie gerückt, es lebt von daher. Von Facebook bis Streetview, wir gucken uns selbst per Satellit aus dem Kosmos zu, was wir hier unten treiben. WIR, das ist etwas anderes als Ich, und es ist auch etwas anderes als Du – die Menschheit ist mehr als die Summe ihrer Teile.

Die Frage, wie das spezifisch Menschliche einziehen kann in die Erde, das ist unser echtes Globalitätsproblem. Es stellt sich in voller Wirklichkeit. Denn wir sind inzwischen so unauflöslich verbunden, dass wir genau wissen, einer reißt den anderen mit in den Abgrund, wenn er stürzt. Keiner kann mehr irgendwo an einem Weltort handeln, ohne dass es mehr oder weniger das Ganze betrifft. Entscheidend für die Lebensqualität der Erde ist mein Motiv. Das ist der Freiraum, der schöpferische Spielraum der Einsicht, den ich immer und jederzeit habe.

Manchmal tut es gut, sich an zwanglosere Zeiten zu erinnern, sich zu versichern bei der Solidargemeinschaft der Kunst. Wie schrieb einst Günther Eich »Seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt.« Die Zwangsvorstellungen im Kopf muss man anhalten, um dem Herzen Gedankenbildung zu ermöglichen. Dieses globale Zeitzeichen steht der Gegenwart an die Wand geschrieben.