Keine Gnadengeschenke, sondern Recht

Bernd Hadewig

Nach dem Regierungswechsel im Jahr 1988 wurde im nördlichsten Bundesland ein neues bildungspolitisches Kapitel aufgeschlagen. Die neugewählte Landesregierung nahm sofort die Vorbereitungen für ein umfassendes Schulgesetz auf. Bis  dahin gab es keine gesetzlichen Regelungen für die freien Schulen im Lande. Darum waren wir von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Waldorfschulen besonders wachsam und engagierten uns in verstärkter Weise auf der landespolitischen Ebene. Wir beteiligten uns aktiv bei den Anhörungen und Beratungen zu den Gesetzesentwürfen. Trotz der dann schließlich im Schulgesetz verankerten Erschwernisse und Benachteiligungen konnten wir auch Erfolge erringen. Seither sind in methodischer Regelmäßigkeit erneut finanzielle Schlechterstellungen und bürokratische Einschränkungen für die freien Schulen und damit auch für die Waldorfschulen in Schleswig-Holstein eingeführt worden. Wir haben uns immer wieder auf den Weg durch das Dickicht der Schulgesetzgebung gemacht, um gegen die restriktiven Verordnungen und bürokratischen Regelungen anzugehen, die die Waldorfschulen in die Zange genommen haben oder noch nehmen. Bei dieser Arbeit fühlten wir uns bisweilen wie in Kafkas »Schloss«-Roman: »Ich will keine Gnadengeschenke vom Schloss, sondern mein Recht.«

Die Freien Waldorfschulen vertreten den Gedanken der Selbstverwaltung im Bildungswesen als Teil des »freien Geisteslebens«. Das ist mittlerweile ein starker Impuls in unserem Bundesland. Dafür spricht das Beispiel der Volksinitiative »Aktion mündige Schule«, die mit über 37.000 Bürger-Unterschriften erreicht hatte, dass sich das Landesparlament – wenn auch widerwillig – mit der Freiheitsidee für das Schulwesen beschäftigen musste. Leider wurde diese Initiative vom damaligen Landtag durch Mehrheitsbeschluss abgewürgt.

Mit der wissenschaftlichen Untersuchung des Steinbeis-Institutes zu den Schülerkosten konnten wir im Jahr 2004 nachweisen, dass wesentliche Schulkosten, wie Investitions- und Raumkosten, Versorgungs- oder Verwaltungskosten nicht angemessen berechnet und aufgezeigt werden. Das Ergebnis: Die angeblichen 80 Prozent Zuschuss sind offenkundig nur 60 Prozent  der echten Kosten.

Bei allen Herausforderungen und Hindernissen haben wir immer wieder auch Teilerfolge erzielt, denen jeweils intensive – bisweilen harte – Verhandlungen, virtuose politische Initiativen, Unterschriftenaktionen, viele persönliche Briefe an Landtagsabgeordnete von Waldorfeltern, Lehrern und Oberstufenschülern und schließlich wiederholte Demonstrationen oder »Finanzlückenfeste« vor dem Kieler Landeshaus vorausgegangen sind. So zum Beispiel, die Berücksichtigung bei der Schulentwicklungsplanung des Landes, der Kreise und kreisfreien Städte, die stimmberechtigte Aufnahme im Landesschulbeirat, die anteilige Mitfinanzierung (durch Landesmittel) der Lehrerbildung im Kieler Waldorflehrerseminar, die angemessene Beteiligung bei der Investitionsförderung durch Konjunkturprogramme, die Berücksichtigung bei der Förderung der Projektfinanzierung »Offene Ganztagsschule« oder »Schulsozialarbeit«, die Rückkehr in die Festbetragsfinanzierung, die Anerkennung und teilweise Aufnahme von Kostenarten wie Investitionen, Schulverwaltung, Schülerbeförderung in die Schülerkostenberechnung des Landes, oder die weitgehende Angleichung der Prüfungsbedingungen bei den Schulabschlüssen (Abitur, Real- und Hauptschulabschluss). Waren sich allerdings noch alle Fraktionen im Landtag in der letzten Wahlperiode einig, dass eine Erstattung von 85 Prozent der Schulkosten für die freien Schulen »ein Schritt in die richtige Richtung sei«, wollen die jetzigen Mehrheitsfraktionen dieses Ziel vorerst nicht weiter verfolgen.

Solange Schulen in freier Trägerschaft hinsichtlich ihrer finanziellen Förderung nicht so gestellt sind, dass diese Schulen tatsächlich allen Bürgern offen stehen, wird nach unserer Auffassung gegen die Verfassung (Art. 7 GG) verstoßen. Damit die Waldorfeltern nicht länger doppelt belastet werden – durch ihren steuerlichen Beitrag zum Bildungswesen und durch die Beiträge für die Waldorfschule –, fordert die Landesarbeitsgemeinschaft immer wieder die Einführung des »Bildungsgutscheins«. Seit 15 Jahren gibt es in Schweden den Bildungsgutschein als hundertprozentige Schulkostenfinanzierung für alle Schulen, also auch für die freien Schulen. Diese gerechte Schulfinanzierung hat sich in Schweden bewährt und für »Schulfrieden« gesorgt.

Wir haben gelernt, dass es gar keinen Sinn macht, in der Bildungspolitik nur Waldorfinteressen zu verfolgen. Deshalb machen wir uns auch die berechtigten Interessen der anderen freien Schulen zu eigen. Die unterschiedlichen pädagogischen Ansätze bringen wir unter dem ideellen Gesichtspunkt der Freiheit des Schulwesens zusammen. Das sind höhere Anforderungen, die aber schließlich zum Erfolg führen werden. Leonardo da Vinci wusste, dass wir nur dann von der Stelle kommen, wenn wir ein Ziel, eine Vision haben. Sein Motto war: »Binde deinen Karren an einen Stern«. Die Zukunft braucht nicht nur Pioniere alter Schule, sie braucht neue Promotoren dieses  ganzheitlichen Geistes. Diese müssen in der Lage sein, mit den gegenwärtigen Widersprüchen im sachlichen wie menschlichen Bereich aktiv umzugehen, keine Alleingänge zu unternehmen oder einsame Entscheidungen zu treffen, sondern sich mit anderen gemeinsam auf die »Entdeckungsreise« der Situationsbearbeitung zu begeben. Wir haben begriffen, dass Bildungspolitik wie das »Bohren dicker Bretter« (Max Weber) ist, und geben die Hoffnung nicht auf, dass der Bildungsabbau in Deutschland endlich beendet wird und den Schulen in freier Trägerschaft mehr Chancen eingeräumt werden. Dafür brauchen wir auch in Zukunft Durchhaltekraft, Zivilcourage und Geistesgegenwart!

Zum Autor: Bernd Hadewig war Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Lehrer und Geschäftsführer an der Freien Waldorfschule Eckernförde und Mitglied im Bundesvorstand der Freien Waldorfschulen; seit 2012 selbstständiger Buch- und Spielwarenhändler in Eckernförde.