Die Achtsamkeits-AG in Berlin-Kreuzberg

Mitglieder der AG Achtsamkeit / Kinderschutz

Das System »Schule« verfügt bei weitem nicht über ausreichende Mechanismen, um Grenzverletzungen wie sexuellen Missbrauch ans Licht zu befördern. Das machte die außerordentliche Gesamtkonferenz deutlich. Deshalb befasste sich eine schulinterne Eltern-Lehrer-Fortbildung mit diesem Thema. Arbeitsgruppen wurden gebildet, die sich mit verschiedenen Aspekten der Prävention und mit der Aufarbeitung des konkreten Falls an unserer Schule beschäftigten.

Nach der Tagung arbeiteten diese Gruppen nur zeitweise weiter und es zeigte sich, dass es einer Institution bedarf, die sich der Themen Grenzverletzung, Grenzüberschreitung und sexueller Missbrauch verlässlich annimmt. Aus der Lehrerkonferenz ist dann sechs Monate später, im Juli 2012, die AG Achtsamkeit gegründet und mit zwei Lehrkräften besetzt worden. Hinzu wurden weitere zwei Mitarbeiter aus dem Hort und vier Eltern gewählt.

Alle Mitglieder haben an Fortbildungen zu Handlungsempfehlungen teilgenommen. Die mitarbeitenden Eltern kommen beruflich auch aus nichtpädagogischen Kontexten. Dies führt zu einem vielfältigeren Blick auf die zu bearbeitenden Themen. Je nach Art und Inhalt der Anfragen aus der Schulgemeinschaft an die AG Achtsamkeit sind es doch häufig die Pädagogen aus der AG, die die Gespräche vor Ort führen, und es werden Fachleute von der Beratungsstelle »Kind im Zentrum« und dem schulpsychologischen Dienst zur Unterstützung hinzugezogen. Die Mitglieder der AG legen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vor und unterliegen der Schweigepflicht.

Präventionsgrundsätze

Ein wichtiges Aufgabenfeld der AG Achtsamkeit ist das Verankern von Präventions- und Kinderschutzgrundsätzen an der Schule. Dazu gehört das Erstellen eines Leitfadens, in dem diese Grundsätze klar definiert werden, die für alle an der Schule Angestellten verbindlich sind.

Voraussetzung für unsere Arbeit ist die fachliche Fortbildung. Einzelne AG-Mitglieder haben verschiedene Qualifikationen im Kinderschutz erlangt. Doch vor allem die gemeinsamen Fortbildungsangebote im Rahmen der Schule sind wichtig, um einen offenen und sensiblen Umgang mit dem Thema zu etablieren. Bewährt hat sich die Kooperation mit Fachkräften von außen, an die wir Kinder und Eltern zur Beratung oder Therapie vermitteln. Seit der schulinternen Eltern-Lehrer-Fortbildung 2012 bietet das Präventionsteam des Bezirksamts Berlin-Kreuzberg auch an unserer Schule dreitägige Workshops für Grundschulklassen an zum Thema Prävention von sexuellem Missbrauch und Gewalt sowie sexualpädagogische Workshops für die 6. Klassen.

Das Angebot für die 2. bis 4. Klasse umfasst drei Projekttage, die die Kinder dabei unterstützen:

• Situationen zu erkennen, in denen sie gefährdet sind. Sie werden darin bestärkt, ihre Gefühle wahrzunehmen und komische Gefühle als Warnung ernst zu nehmen,

• angenehme und unangenehme Körperberührungen zu unterscheiden und daraus abzuleiten, dass sie das Recht haben, Nein zu sagen, wenn ihnen eine bestimmte Art von Berührung nicht behagt,

• sich Hilfe zu holen und zu überlegen, welche Vertrauensperson diese Hilfestellung gewährleistet,

• zu erkennen, dass es gute und schlechte Geheimnisse gibt, und zu lernen, dass schlechte Geheimnisse weitererzählt werden dürfen.

Das Angebot für die Kinder der 6. Klasse umfasst ein dreitägiges Programm, in dem in Mädchen- und Jungengruppen zu unterschiedlichen sexualpädagogischen Themen gearbeitet wird:

• Selbstbewusstsein / Selbstverständnis,

• Gefühle, Liebe, Sexualität,

• Veränderung in der Pubertät, psychische Veränderungen und Körperwissen,

• Rollenbewusstsein,

• Umgang mit dem Internet,

• Schutz vor Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaftsverhütung.

Einige Schulklassen konnten bereits von dem Angebot profitieren und wir finden es erstrebenswert, dass alle Klassen daran teilnehmen. Außerdem arbeiten wir mit Erziehungsberatungsstellen, der Schulpsychologie und Jugendämtern zusammen. Ein Leitfaden zu den Verhaltensgrundsätzen ist in Arbeit. Er appelliert insbesondere an die eigene Initiative und Motivation jedes einzelnen Mitarbeiters. Um eine Kultur der Prävention, Grenzachtung und des Vertrauens schaffen zu können, ist es notwendig, sich in seinem Verhalten zu reflektieren. Ein waches Bewusstsein zu erarbeiten, heißt, sich immer wieder zu fragen:

• Was bedeutet es, einen fairen und respektvollen Umgang mit den Schülern zu pflegen?

• Wie geht es den Schülern mit meinem Verhalten?

• Mit welcher Haltung begegnen mir, dem Verantwortlichen, die Schüler bei der praktischen Arbeit?

• Welche gemeinsamen Absprachen gibt es zwischen den Schutzbefohlenen (Schülern) und den Schutzbeauftragten (Mitarbeitern)?

• Welche Gespräche, Aufklärung, klare Regeln und Konsequenzen sind notwendig, um grenzüberschreitendem Verhalten zwischen Schülern entgegenzuwirken?

• Wie kann ich eine geäußerte Beschwerde, auch wenn sie persönlich gemeint ist, ernst nehmen, nicht bagatellisieren und an wen kann ich mich, um Hilfe bittend, vertraulich wenden?

Wir wissen, dass jeder Mensch seinen individuellen Radius von Nähe und Distanz hat. Es kommt jedoch darauf an, sensibel darauf zu achten, die persönliche Grenze anderer nicht zu überschreiten.

Wir wissen, dass wir im pädagogischen Alltag an Grenzen und Schwierigkeiten stoßen. Die Möglichkeit, sich vertraulich Hilfestellung zu holen, sollte wahrgenommen werden, beispielsweise über die für die Personalpflege zuständige Delegation. Fehltritte von Mitarbeitern müssen benannt werden. Das erfordert aber eine empathische wohlwollende Haltung dem Menschen gegenüber.

Achtsamkeit im Schulalltag

Wie arbeitet die AG konkret? – Meist wird ein Anliegen an die Gruppe herangetragen (per Post – Briefkasten im Foyer, persönliche Ansprache oder per E-Mail). Wer kann oder will den Fall bearbeiten? Nach Prüfung der Befangenheit findet sich ein Lehrerkollege und ein Elternteil, die von den anderen AG-Mitgliedern bestätigt werden. Gespräche werden geführt und im Falle des Verdachts auf sexuellen Missbrauch externe Fachleute einbezogen. Weiter wird die Kerngruppe der Schulleitung informiert und gegebenenfalls einbezogen, ebenfalls ein benanntes Mitglied der Rechtskonferenz unserer Schulen. Sämtliche Schritte während der Bearbeitung werden in Protokollen dokumentiert.

Die Bearbeitenden geben Zwischenberichte an die gesamte AG und entscheiden, inwieweit Einzelheiten gemeinsam besprochen werden. Empfehlen wir ein Mediationsgespräch, wenden sich die betroffenen Parteien an den 2010 ein-­geführten Vertrauensrat, ein Gremium, dessen von der Gesamtkonferenz gewählte sechs Mitglieder bei allen Konflikt­fällen ansprechbar sind. Nach Möglichkeit laden wir nach einem Vierteljahr wieder zu einem Gespräch ein und schauen gemeinsam auf den Fall zurück. Der abgeschlossene Fall wird in der Schule in verschlossener Akte aufbewahrt.

Seit April 2013 gibt es das »Elterncafé im Foyer« unserer Schule. Es ist eine Initiative der AG Achtsamkeit und wird im Wechsel mit je zwei von etwa zehn Eltern aus unterschiedlichen Klassenstufen immer montags von 8-9 Uhr betreut. Es gibt ein kleines Angebot an Getränken und Essbarem. Man trifft sich, tauscht sich aus. Auch Vertreter aus verschiedenen AGs und Kreisen kommen vorbei und stehen gerne Rede und Antwort.

E-Mail: achtsamkeit@fwsk.net

Zu den Autoren: Die Mitglieder der AG Achtsamkeit / Kinderschutz sind: Antje Schmidt (Werklehrerin), Katharina Rüsing (Therapiebereich, Hengstenberg-Turnen), Barbara Kerer (Erzieherin/Unterstufe), Ruben Ivanov (Erzieher/Mittelstufe).

Vertreterinnen aus der Elternschaft sind: Constanze Obst (Sozialpädagogin, Familientherapeutin, Zusatzqualifikation zur Prävention von sexuellem Missbrauch), Ulrike Hamm, Naira Bloss.