Wall Street und der Aufstieg Hitlers

Rainer Monnet

Das Buch von Anthony C. Sutton, erstmalig im Jahre 1976, nun in deutscher Sprache im Perseus Verlag erschienen, deckt die Verflechtungen und Machenschaften einiger amerikanischer Industrieller und Wallstreet-Finanziers beim Aufstieg Hitlers schonungslos auf. Das Buch liest sich wie ein Wirtschaftskrimi, nur handelt es sich bedauerlicherweise um die blanke Realität.

Sutton, ein bekannter Harvardprofessor, schaut in die Bücher der größten deutschen und amerikanischen Großindustriellen und findet dort schwarz auf weiß Zahlungen, wie z.B. die Verbindung zwischen dem Standard-Oil-Komplex und den deutschen IG Farben, die den Nazis zu ihrem Aufstieg verholfen haben. Antony Sutton bezieht sich vor allem auf Material, welches von amerikanischen Behörden im Zuge der sogenannten Kriegsverbrecherprozesse zusammengetragen worden war.

Unmittelbar nach dem Krieg hatte man noch Gelegenheit, die Beziehungen amerikanischer Unternehmen zum NS-Regime zu untersuchen, bevor dann mit der Veränderung der Besatzungspolitik 1947/48 darüber der Mantel des Schweigens ausgebreitet wurde. Die NSDAP hatte für die Reichstagswahlen 1933 Wahlkampfspenden besonders von jenen deutsche Firmen erhalten, die intensive Verbindungen mit Unternehmen aus den USA hatten. Bei dem berühmten »Kaiserhoftreffen« einiger Unternehmer mit Hitler spendierten die IG Farben 100.000 Reichsmark. Am 20. Februar 1933 traf sich Hermann Göring im Palais des Reichstagspräsidenten mit den Spitzen der deutschen Wirtschaft. Hjalmar Schacht sammelte an diesem Ort etwa 1.3 Millionen Reichsmark auf das »Sonderkonto Treuhand«, womit Hitlers Wahlkampf finanziert wurde.

Die Unterstützer Hitlers waren also nicht, wie vermutet werden könnte, Firmen von rein deutschem Ursprung. Im 19. Jahrhundert hatten mächtige Wirtschaftskonglomerate bereits begonnen, in die Politik zu investieren, um sich deren Wohlwollen zu sichern. Von J.P. Morgan, in den USA Anfang des 20. Jahrhunderts die wohl mächtigste Bank, wurde berichtet, dass diese beide politischen Lager unterstützt habe, um die eine wie auch die andere Seite beeinflussen zu können. Diese erfolgreiche Methode wurde auf die Außenpolitik übertragen. Es beginnt eine international orientierte Investitionspolitik durch einflussreiche Kreise der amerikanischen Finanzwelt und Industrie.

Die astronomisch hohen Reparationsforderungen der Siegermächte nach dem 1. Weltkrieg waren darauf angelegt, dass sich Deutschland von den finanziellen Lasten niemals erholt hätte. Dies hätte zur Folge gehabt, dass dann kein Geld aus Deutschland herauszuholen gewesen wäre. Dies war einflussreichen Kreisen der New Yorker Wall Street klar geworden. Um dem entgegenzusteuern, wurde 1924 ein großes Kreditpaket geschnürt. So wurde quasi ganz Deutschland an die US-Banken verpfändet. Die Reichsbank wurde nun von Vertretern englischer und US-amerikanischer Banken quasi okkupiert, was auch für den Vorstand der deutschen Reichsbahn galt.

Unter der Regie der US-Bankdirektoren wurde eine radikale Konzentration der deutschen Industrie durchgeführt. In den Bereichen Elektrotechnik, Stahlverarbeitung und Chemie wurden Unternehmen zu Kartellen und Megakonzernen verschweißt, wie in der chemischen Industrie das Konglomerat IG Farben. Weiterhin die Vereinigten Stahlwerke und die AEG wurden zu einem Viertel von der amerikanischen General Electric übernommen. General Motors kaufte im Katastrophenjahr 1929 für einen Spottpreis die deutsche Adam Opel AG. GM baute weitere Werke in Köln und Berlin. Sutton weist nach, dass die Standard Oil eng verbunden mit der IG Farben, zahlreiche kriegswichtige Patente (z.B. Kohleverflüssigung) schützen ließ. Standard Oil hatte die Kohlehydrierung perfektioniert und das Patent vor dem Zweiten Weltkrieg der IG Farben kostenlos überlassen.

Eine der besonders schillernden Persönlichkeiten in diesen Zusammenhängen war Hjalmar Schacht, einer der Architekten der deutschen Wirtschaftspolitik und Präsident der Reichsbank in den dreißiger Jahren. Er stand in enger Verbindung mit Finanzkreisen in London und New York. Dies galt auch für Fritz Thyssen, den wohl wichtigsten Finanzier beim Aufstieg des Nationalsozialismus, der intensive Verbindungen zu den Interessen der Harriman Familie hatte. Ein weiterer maßgeblicher Drahtzieher war der Studienfreund des späteren amerikanischen Präsidenten Roosevelt. Ernst Hanfstaengel (Putzi), amerikanischer Abstammung, der Auslandspressechef in den dreißiger Jahren der NSDAP war, eben mit seinen Verbindungen ein idealer Kandidat für die geheimen Machenschaften zwischen amerikanischen Finanziers und den Vertretern des Nationalsozialismus. Ein wichtiges Vehikel war nach Sutton die 1915 gegründete American International Corporation (AIC), einem Zusammenschluss der größten Wall-Street-Firmen, u.a. der Morgan Bank und der Rockefeller Familie, d.h. insbesondere das Standard-Oil-Imperium und die Chase Manhattan Bank, wie ferner die Warburg Familie. Selbst große Konzerne wie General Electric, ITT oder Ford tauchen in den Bilanzen als Zahlungsträger auf, ja sogar eine öffentliche Institution wie die New Yorker Federal Reserve Bank.

Die Fusion 1931 zu Brown Brothers Harriman machte diese zur größten und politisch einflussreichsten Privatbank der USA. Mit Thatcher Brown eröffnete Harriman die Beziehungen zum Direktor der Bank of England, M. C. Norman, einer der wichtigsten Hitler-Unterstützer. Ebenfalls finanzierte Sir Henri Deterding als Vorsitzender der Royal Dutch, der hauptsächlich der Königsfamilie gehörenden größten Bank Englands, Hitlers Aufstieg. Ohne die Finanzspritze Thyssens (über seine Bank voor Handel en Scheepvaart) und Harrimans American Ship and Commerce Corp. wäre Hitler 1933 wohl nicht an die Macht gekommen. Durch einen Vertrag von Hjalmar Schacht, John Foster Dulles, Max Warburg und Kurt von Schroeder liefen ab Mai 1933 alle deutschen Exporte in die USA über die Harriman International. US-Investoren unterstützen die Nazis nicht heimlich, sondern ganz offen, was der US-Botschafter in Deutschland, William E. Dodd, 1937 einem Reporter der New York Times öffentlich sogar mitteilte. Der Ölhandel, dominiert durch Rockefellers Standard Oil of New Jersey, belieferte Deutschland auch im Krieg. Der Vertreter von Standard Oil in Deutschland, Emil Helfferich, repräsentierte zugleich die Hapag-Lloyd. Bush und Farish schmierten SS-Chef Himmler bis 1944. Über Emil Helfferich, Kurt von Schroeder und Karl Lindemann, Verwaltungsratsmitglieder der Hamburg-Amerika-Line wurden horrende Geldsummen in die NSDAP Führungsspitze gepumpt.

Dass der Nationalsozialismus mit Hilfe der amerikanischen Streitkräfte 1945 niedergeschlagen wurde, ist sechzig Jahre jedem Jugendlichen im Unterricht vermittelt worden. So bleibt dies nur die halbe Wahrheit. Die Offenlegung der anderen Hälfte derselben durch Antony Sutton trägt dazu bei, dass die bislang verborgenen Fakten an den Tag befördert wurden. So wurde klar, dass die Macht Hitlers nur mit Hilfe britisch-amerikanischer Kapitalspritzen überhaupt aufgebaut werden konnte. Das Buch ist ein Muss für jeden Geschichtslehrer und Historiker, eine Bereicherung für jeden interessierten Zeitgenossen. Eine Lücke in der Geschichtsschreibung über die Zeit vor und während des zweiten Weltkrieges wurde nun endlich geschlossen durch die deutsche Übersetzung.

Antony C. Sutton: Wall Street und der Aufstieg Hitlers. Aus dem Englischen übersetzt von Peter Geiger. 205 S., EUR 19,60. Perseus Verlag, Basel 2008

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