Reparieren statt Wegwerfen

Walter Kraus

»Papa, kannst du mal kommen?« Enttäuscht und ratlos zeigt mir meine Tochter ihren CD-Player. »Der lässt sich nicht mehr öffnen!« Ich frage: »Was ist denn passiert?« Meine Tochter antwortet: »Ich bin am Kabel hängen geblieben. Er ist runtergefallen.« – »Steck ihn doch mal aus und wir schauen ihn uns an«, rate ich ihr. »Hier hat das Gehäuse einen Sprung bekommen und die Abdeckung sitzt irgendwie schief drauf«, erklärt sie. Gemeinsam suchen wir nach einer Möglichkeit, das Gerät zu öffnen. – Schwierig!

Als wir nicht weiterkommen, ziehen wir das Internet zu Rate. Und wirklich, es gibt ein YouTube-Video, in dem gezeigt wird, wie sich das Gerät zerlegen lässt. Ein spezieller geschlitzter Schraubenschlüssel findet sich in meinem Bit-Schlüssel-Set. Jetzt will meine Tochter aber alleine weitermachen. Sie holt sich noch den Sekunden-Kleber und kurze Zeit später präsentiert sie mir stolz und selbstbewusst den wieder funktionierenden CD-Player.

Reparieren macht Spaß, besonders mit Jugendlichen – denn sie sind neugierig, stellen interessiert Fragen und haben gute Ideen. Sie erhalten »Einsicht«, indem sie das Gerät öffnen und versuchen herauszufinden, wie es – oder warum es nicht mehr – funktioniert. Sie setzen sich mit der sie umgebenden technischen Welt auseinander, lernen sie kennen und übernehmen eigene Verantwortung. Sie üben den achtsamen Umgang mit Rohstoffen und Energie.

In unseren Städten findet man kaum noch Werkstätten. Arbeitszeit ist zu teuer und der Werkstoff zu billig. Früher war es genau anders herum. Das müssen und können wir ändern, indem wir Reparieren als Unterrichtsfach in Schulen anbieten. Die Beschäftigung mit der Beschaffenheit, Funktion und dem Wert von Alltagsdingen ermöglicht es, nachhaltiges Wirtschaften zu lernen. Wir haben damit begonnen: Schüler der 9. und 10. Klasse arbeiten seit dem letzten Schuljahr im Rahmen des Wahlpflichtfaches in der »Reparaturwerkstatt für Schüler«.

Es braucht Mut, Kaputtes zu öffnen

Eine Schülerin berichtet: »Dreimal in der Woche treffen wir uns in unserer Reparaturwerkstatt neben dem Physiksaal. Die Zweier-Teams haben dort ihren je eigenen Arbeitsplatz, an dem die benötigten Werkzeuge bereitgestellt sind, und widmen sich den laufend reinkommenden kaputten Sachen. Oft bringen die Kunden auch persönlich etwas vorbei, dann nehmen wir uns Zeit, eventuelle Fragen wie zum Beispiel die der Ersatzteilkosten zu beantworten. Da es immer sehr viel zu tun gibt, gibt es einige Eltern und Bekannte, die abwechselnd dabei sind und mithelfen. Wir reparieren überwiegend elektrische und elektronische Geräte wie kaputte Kameras, Radios, CD-Player, Kaffeemaschinen, Modellboote, Fahrräder, Autoschlüssel, die Tageslicht-Projektoren der Schule, aber auch mechanische Sachen bis hin zu kaputten Holzspielsachen aus dem Hort. Wir haben in der Zeit von Mitte April bis Ende Juli 72 Geräte erfolgreich repariert, nur ein Glätteisen mussten wir entsorgen, da die Platine irreparabel verschmort war. Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich. Man lernt die unterschiedlichsten Sachen: vom Aufschrauben auch komplizierter Geräte über das Bedienen eines Messgeräts bis zum Löten. Außerdem haben wir alle den Mut bekommen, kaputte Sachen erst mal selbst zu öffnen und nach dem Problem zu suchen, anstatt sie einfach wegzuwerfen oder zurückzuschicken.

Ich finde die Idee super und in der Ausführung in jeglichem Sinne interessant, hilfreich und nützlich. Das ist mal ein ganz anderes Unterrichtsangebot.«

Sophie Kopf

Wir erproben eine Alternative zum Wegwerfwahn

Mit unserer Reparaturwerkstatt wollen wir den Ausstieg aus dem Teufelskreis des Kaufens und Entsorgens durchbrechen. Viele Menschen haben grundsätzliche Einsichten in die Dinge des täglichen Gebrauchs und in deren Funktionsweise verloren. Die Schüler machen dagegen die Erfahrung, dass es oft nur am lockeren Kontakt liegt, nach dessen Befestigung die Lampe wieder leuchtet, oder an der leeren Batterie, nach deren Ersatz die Uhr wieder tickt. Fast schon automatisch ersetzen wir Dinge, die nicht mehr wie gewünscht funktionieren. Wir haben aufgehört, nach Lösungen zur Instandsetzung zu suchen – dabei liegen die oft näher als gedacht.

Ideal an unserer Schülerwerkstatt ist, dass wir mit unserer Arbeit kein Geld verdienen müssen. Die Kunden aus der Eltern- und Schülerschaft können uns durch Spenden belohnen, mit denen wir neue Werkzeuge kaufen. Die Schüler erleben so sinnstiftendes ehrenamtliches Arbeiten, das dem Mitmenschen dient. Das Prinzip des brüderlichen Wirtschaftens wird für die Schüler praktisch erlebbar und befriedigt sie zutiefst. Denn sie sehen, dass ihre Arbeit von anderen gebraucht wird. Diese Erfahrung ist auch eines der Ausbildungsziele der Reparaturwerkstatt.

Immer neues, ansprechendes Design verleitet nicht nur Jugendliche zu immer mehr und schnellerem Konsum. Auch Kinder werden verführt. Dies nennt man psychische Obsoleszenz. Ich brachte vor kurzem den neuen Schul-Laptop mit nach Hause. Meine Tochter war total begeistert, wir sollten sofort auch so ein Gerät kaufen. Ich musste ihr erst erklären, dass der Laptop von der Funktion überhaupt nicht besser sei als unserer, er schaue nur moderner aus. Die technische Obsoleszenz erlebte ich, als ich ein neues Betriebssystem auf meinen Rechner installieren musste, damit eine neue Software funktionierte. Danach funktionierte mein Scanner nicht mehr. Ich musste ihn entsorgen und durch einen neuen ersetzen.

Geplante Obsoleszenz ist es, wenn Geräte verklebt oder so mit Spezialschrauben versehen sind, dass sie ein Otto-Normalverbraucher nicht mehr öffnen, nicht mehr reparieren kann und sie entsorgen muss.

Entdeckendes Lernen als pädagogische Methode

Einen eigenständigen Zugang zu sich selbst, zu anderen und zur Welt zu finden, stellt sich den Jugendlichen als Entwicklungsaufgabe in der Pubertät. Sie müssen dazu die Dinge in die eigene Hand nehmen, um sich selbst in der Begegnung mit der Welt kennenzulernen. Es geht darum, nichts mehr einfach gesagt zu bekommen, sondern es selbst herauszufinden. Die Reparaturwerkstatt bietet diese Erprobungsmöglichkeit. So öffnen wir in der Schule Lernräume durch praktische Arbeit an konkreten Kundenaufträgen.

Die Sache belehrt

In der Reparaturwerkstatt bekommen die Schüler keine kleinschrittige, genaue Einführung, sondern sie sollen »entdeckend lernen«. Die Reparaturanleiter helfen den Schülern nicht sofort, sondern halten sich im Hintergrund. Die Jugendlichen sollen lernen, sich selbst zu helfen. Welche größere Sicherheit kann man im Leben entwickeln als das Vertrauen »Ich weiß mir zu helfen!« und »Ich verliere auch bei Schwierigkeiten nicht den Mut«. Nicht die Autorität soll dem Jugendlichen sagen, ob etwas gut oder nicht gelungen ist, sondern das wieder funktionierende Gerät. Diese »Belehrung durch die Sache« ist eine unschätzbare Möglichkeit für Schüler, sich ihren Fehlern zu stellen und keine Ausflüchte zu suchen – etwa »der Lehrer erklärt nicht gut« oder ähnliches. Einen besonderen Akzent bekommt diese Art des Lernens dadurch, dass sie »erfahrungsgeleitet« ist: Die Schüler nutzen einerseits bereits vorhandene Erfahrungen, andererseits lassen sie sich in ihrem Handeln von den Erfahrungen leiten, die sie beim Entdecken machen, und sie achten dabei besonders auf Sinneswahrnehmungen, Assoziationen und bildhafte Vorstellungen, die sich beim Erfahrungenmachen einstellen. So entwickeln sie nicht nur praktisches Knowhow, sondern ebenso Gefühl und Gespür für die Sache.

Das Reparaturkonzept wird ausgebaut

Die Schüler arbeiten in Zweierteams oder allein an einem mit Werkzeugen ausgestatteten Arbeitsplatz. Für Holzarbeiten in der Holzwerkstatt, für Reparaturen an elektrischen Geräten und an Fahrrädern gibt es neugeschaffene Arbeitsplätze in der Physiksammlung. Mit unserer mobilen Werkzeugkiste sind die Schüler mit dem Hausmeister im Schulgebäude unterwegs, künftig wird auch Kleiderreparatur im Handarbeitsraum möglich sein. Die Werkzeuglisten mit Preisen für die verschiedenen Arbeitsplätze und den Erkundungsbogen senden wir gerne zu: reparatur@waldorfschule-schwabing.de.

Das Projekt Reparaturwerkstatt für Schüler stellt einen innovativen Ansatz der Weiterentwicklung der Waldorfpädagogik dar und wird wissenschaftlich begleitet. Um folgende Fragen geht es dabei:

• Welchen Beitrag leistet die Werkstatt zur Entwicklung von Schülern in der Pubertät?

• Was trägt sie zur praktischen Umweltbildung, zum Ressourcen- und Wertebewusstsein bei?

• Wie können Ehrenamtliche in das pädagogische Konzept einbezogen werden?

• Welche pädagogischen Chancen liegen im direkten Umgang mit Kunden/innen?

Die Ehrenamtlichen sollten beratend begleitet werden, insbesondere im Blick auf die Methodik des entdeckenden und erfahrungsgeleiteten Arbeitens und Lernens. Letztendlich sollte eine Zusammenfassung der Ergebnisse als Handreichung für weitere interessierte Waldorfschulen entstehen. Als Durchführende haben wir Claudia Munz von der Gesellschaft für Ausbildungsforschung und Berufsentwicklung aus München gefunden, die langjährige Erfahrung in der Jugend- und Erwachsenenbildung hat. Insbesondere begleitet sie den Handwerkerhof der Waldorfschule Gröbenzell seit vielen Jahren mit dem Ansatz des erfahrungsgeleiteten Lernens. Für die Finanzierung der Begleitforschung und -beratung suchen wir noch Sponsoren.

Zum Autor: Walter Kraus ist Physik- und Mathematiklehrer und Leiter des Projekts »Schüler helfen Roma-Familien in Rosia/Rumänien« an der Rudolf-Steiner-Schule München-Schwabing. Er hat drei Töchter, die im Kinderzimmer eine Werkbank haben.

Mehr zum Projekt Reparatur defekter Geräte – ein sinnvolles Unterrichtsangebot an Schulen unter www.ecocrowd.de