Arme Superkinder

Griet Hellinckx

Das Buch von Felicitas Römer ist ein aufrüttelndes Buch, das den Finger auf die Wunde legt, oder besser gesagt auf viele Wunden. Die vierfache Mutter trägt Erfahrungen, Fakten und Beobachtungen aus ihrer Arbeit im Kinderschutzbund zusammen, die zwar alle nicht neu sind, aber in der Fülle aufschrecken lassen. Dadurch gelingt es ihr, eine Gesamtdynamik unserer Gesellschaft in Bezug auf Kinder, Bildung und wirtschaftliche Interessen sichtbar zu machen. Die Erwartungen der Eltern an ihre Kinder werden immer höher: Das Kind gilt als Glücksbringer und Prestigeobjekt. Der Blick richtet sich zunehmend auf die Defizite. Schon im Kindergartenalter wird systematisch auf Kompetenzen geschaut und wer nicht ganz dem Durchschnitt und dem Leitbild des leistungsfähigen, kreativen, sozial angepassten Kindes entspricht, wird kurzerhand zur Therapie geschickt. In vielerlei Hinsicht wird das Kind als Leistungsträger der künftigen Gesellschaft angesehen und als solcher schon dermaßen getrimmt, dass Stresssymptome immer früher auftreten. Medikamente, Nachhilfe und außerschulische Bildung werden zum Normalfall, für die, die es sich leisten können. Ein Marktsegment, mit dem viel Geld verdient wird. Kinder und Jugendliche werden zur Zielgruppe und zu Investitionsobjekten. Und solange all dies nicht hinterfragt wird, versuchen Eltern und Kinder mitzuhalten. Denn in einer Zeit der Globalisierung und Rezession droht vielen der soziale Abstieg. Das Geschäft mit der Angst funktioniert, auch und vor allem im Bildungsbereich.

Es stellt sich die Frage, wie und wo sich die Waldorfschule innerhalb dieser gesellschaftlichen Entwicklungen verorten lässt. Man kann beobachten, dass die Entscheidung für die Schule oft auf der Sorge um die eigenen Kinder beruht. Das eigene Kind ist etwas Besonderes. Es soll individuell und vielseitig gefördert werden. Nur das Beste ist gut genug.

Dies schließt eine Aussage über das öffentliche Schulsystem als defizitär oft mit ein. Durch den Ansturm auf die freien Schulen wird das Zweiklassenbildungssystem gefördert und die Dynamik, dass Bildung Wirtschaftsgut wird, unterstützt. das ist eine Tendenz, der man entgegenwirken sollte. In diesem Zusammenhang ist es an der Zeit, dass die Menschen, die um Bildung bemüht sind – gleich ob in Ämtern, Universitäten, staatlichen oder freien Schulen –, sich austauschen und Wege finden, um jenseits von wirtschaftlichen Interessen das Schul- und Bildungssystem für alle wieder kindgerechter zu gestalten. Dann wird vermieden, dass die »armen Superkinder« an dem Anspruch der Gesellschaft und der Wirtschaft zerbrechen.

Felicitas Römer: Arme Superkinder – Wie unsere Kinder der Wirtschaft geopfert werden, brosch., 231 S., EUR 17,95, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2011

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