Kleine Helden in Not

Friedrich Genz

Die Sozialarbeiterin in der Erziehungsberatung: »Tja, Frau Meier, für die Tagesgruppe reicht das nicht. Wie wär’s mit Sonderschule …?« So könnten Bruchstücke aus dem Umfeld des gedachten Kevin Meier klingen. Der von ihm lediglich gefühlte Titel des Ganzen: »… nur Weiber und mein Vadder is weg …«

Die Zahl der Kevins nimmt zu. In Stadtteilen mit sozialen Brennpunkten kommen Schulpädagogen an die Grenze ihrer Möglichkeiten. Einige wollen die »Probleme« einfach loswerden, andere hoffen auf die Kinder- und Jugendhilfe. Viele Schulen haben meist noch keine Ideen oder nachhaltige Strukturen entwickelt, um auf den lauter werdenden »Schrei im Klassenzimmer«, besonders der Jungen, angemessen zu reagieren.

Die niederschwelligen Angebote der Kinder- und Jugendhilfe sind oft nicht geeignet; und die intensiveren wie eine Tagesgruppe (Paragraph 32 SGB 8) werden von den Jugendämtern aus Kostengründen nur zögerlich genehmigt und von Eltern selten nachgefragt. So geraten besonders Jungen aus bildungsfernen und sozial schwachen Familien früh in eine prekäre Situation: All das, was sie ausleben wollen und müssen, wird im Schulkontext schnell als störend bewertet. Man braucht wenig Phantasie, um sich auszumalen, wie die weitere Schullaufbahn dann aussieht.

Vor dem Hintergrund dieser dramatischen Entwicklung hat sich vor einiger Zeit eine Gruppe um Yasmine Ait Ichou entschlossen, den kleinen Helden in Not zu helfen und dafür den »Neuen Lernort Scharnhorst« gegründet. Bemerkenswert ist, dass die Initiatoren nicht auf eine Regelfinanzierung gewartet haben, sondern mit zunächst geringen Spendengeldern auf einem ehemaligen Zechengelände ein Förderkonzept entwickelt und aufgebaut haben, das sich auch durch die inzwischen gute Zusammenarbeit mit mehreren Grundschulen zu einem Erfolgsmodell entwickelt hat.

In Absprache mit den umliegenden Schulen kann täglich wechselnd eine Gruppe von Kindern auf dem wild-romantischen Gelände am Malakovturm betreut werden, so dass für über 40 Kinder im Alter von 5-12 Jahren Hilfe möglich ist.

Die Gründer des »Neuen Lernorts Scharnhorst« haben ihr Projekt von Helmut Linnen­bank, Uni Dortmund, wissenschaftlich begleiten lassen und unlängst die Geschichte des Unternehmens, das neuartige Konzept und die über Jahre gepflegte Evaluation in einem Buch zusammengefasst. Lesenswert!

Helmut Linnenbank, Yasmine Ait Ichou, Hans-Werner Uchner: Hilfeschrei im Klassenzimmer, brosch., 272 S., EUR 24,90, LIT Verlag, Berlin, 2014