Leuchttürme ihrer Zeit

Albert Vinzens

Das Buch liest sich spannend wie eine Geschichtsstudie. Überall ist es von soziologischer Tiefe und menschlicher Wärme durchdrungen. Erstaunlicherweise ermüdet weder die umfassende Kenntnis der Dinge noch die überwältigende Detailgenauigkeit, in welcher sie vorgetragen werden – im Gegenteil. Riemecks Verbundenheit mit der abendländischen Kultur und ihr freigeistiges Denken eröffnen neue Sichtschneisen auf die Humanisten und Pietisten, auf die Reformpädagogen, aber auch auf Martin Buber und Johann Wolfgang von Goethe, die sie ohne Abstriche zu den Klassikern der Pädagogik zählt.

Die Vorlesungen haben Stil, manchmal verführen sie zum Schmunzeln. Über die Leuchte des Humanismus, Erasmus von Rotterdam, erfährt der Leser neben nagelfesten Fakten auch, dass er »jammerich« war. Von Johann Gottfried Herder zitiert Riemeck folgende Stelle: »Wenn ich lebhaft und nicht für Greise rede, jedes in seiner neuesten Seite zeige, jeden Augenblick ganz die Seele anfülle, jede Saite der Aufmerksamkeit treffe, jedem Schlupfwinkel der Zerstreuung zuvorkomme, wenn ich nicht in einer fieberhaften Methode walle, die bald fliegt bald kriecht, sondern stets mit einem gleichen Auge alle bemerke, so kann ich die Blumen meiner Saat abbrechen.« Unmittelbar im Anschluss an diese Stelle sagt die Frau Professor zu ihren aufmerksamen Pädagogikstudenten im Hörsaal: »Ja, machen Sie das mal! Alles immer von einer anderen Seite zeigen, jeden Augenblick die Aufmerksamkeit aller fesseln und der Unaufmerksamkeit zuvorkommen. Also, wenn Sie das können, dann sind Sie ein fantastischer Lehrer.« Ein schönes Buch, voll tiefer Bedeutung und Richtkraft, überall echt. Renate Riemeck verlebendigt mit Verve das Hand- und Lebenswerk der großen europäischen Pädagogen seit dem Humanismus.

Renate Riemeck (Hrsg.): Klassiker der Pädagogik von Comenius bis Reichwein. Marburger Vorlesungen 1981/82/83 mit Quellentexten, Hardcover, 492 S., EUR 39,95, Tectum Verlag, Marburg 2014