Mitgefühl und Solidarität – überkommene Werte?

Griet Hellinckx

Empathie ist die »Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen«. Menschen, die empathisch sind, spricht man eine höhere »emotionale Intelligenz« zu. Obwohl sie heutzutage als eine wichtige Qualität und Fähigkeit gilt, kann man in unserer Gesellschaft zugleich Tendenzen beobachten, die uns die Empathie geradezu abtrainieren. In diesem Sammelband findet der Leser acht Kapitel, die Vorträge und Workshops einer waldorfpädagogischen Tagung zusammenfassen, die Januar 2012 zu diesem Thema in Stuttgart stattfand. Pädagogen, Therapeuten und andere Fachautoren beschäftigen sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit der Fragestellung. Was die einzelnen Beiträge auszeichnet, ist die Mischung aus gedanklicher Tiefe und Bezugnahme auf gesellschaftliche Phänomene. Immer wieder wird ein Spannungsfeld sichtbar zwischen dem, was an Isolation, Eigennutz und mangelnder Solidarität durch den Druck von Ökonomie und Technologie längst zum Alltag vieler gehört, und dem, was als wahres Menschsein erlebt werden kann. Mitgefühl, Vertrauen und Solidarität erscheinen in so manchem Kontext als überkommene Werte. Neben alarmierenden Phänomenen leuchten jedoch auch die neuen Fähigkeiten der jüngeren Generation auf.

Diese lassen hoffen, dass etliche Kinder und Jugendliche heutzutage bereits von sich aus, mit einer größeren Selbstverständlichkeit das Mitfühlen als Fähigkeit wertschätzen und leben. Es ist hilfreich, dass die meisten Autoren auf die Erkenntnisse eines anthroposophischen Menschen- und Weltbildes zurückgreifen können, das es ihnen erlaubt, ein Verständnis für bestimmte negative wie positive Entwicklungen sowie eine Bewertung und Orientierung für den Umgang mit diesen herauszuarbeiten.

Andreas Neider (Hrsg.): Wie lernen Kinder Empathie und Solidarität? Soziale und anti­soziale Triebe im Kindes- und Jugendalter, 283 S., kart., EUR 19,90, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2012