Pädagogische Resonanzen

Tomáš Zdražil

Die Weltbeziehung des Menschen in der Moderne beschäftigt Rosa seit vielen Jahren schon und er kommt dabei zu aufschlussreichen Ergebnissen: in seiner 2005 erschienen Schrift »Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne« beschreibt Rosa die pathologische Entwicklung der modernen Gesellschaft: das Freiheitsbedürfnis des modernen Menschen, seine Autonomie-Maxime endet in der Sackgasse eines zwanghaften ökonomischen Wachstums, einer technologischen Innovationsverdichtung und vor allem einer entglittenen sozialen Beschleunigung. Alles führt zu einer zunehmenden Entfremdung des Menschen und zu einer pathologischen misslingenden verstummten Weltbeziehung.

Die Entfremdung drückt sich dann beim Menschen unter anderem in Überforderungen von Psyche und Physis aus, in Krankheiten – und in Extremform – im heute epidemisch werdenden depressiven Burnout. Es findet keine Resonanz mit der Welt statt, die Welt verstummt. Diese Entwicklung der Moderne ist aus der Sicht von Rosa dringend zu ergänzen durch eine »Wiederentdeckung des Resonanzverlangens«, durch zunehmende Resonanzerfahrung des Menschen. Resonanzerfahrungen beschreibt er in der Kunst, Natur, Religion, Politik oder Wissenschaft.

Im Buch »Resonanzpädagogik« erschließt sich nun Rosa die Lebenswelt »Schule und Unterricht« aufgrund von Entfremdungs- und Resonanzbeziehungen. Eigentlich handelt es sich um ein Interview zwischen dem Soziologen und dem Pädagogen Endres.

Der Text ist gegliedert in zwölf kurze wissenschaftlich anspruchsvolle und dennoch leicht lesbare Kapitel. Inwiefern ist die Schule primär als Resonanzraum zu betrachten? Wie hängt im Unterricht Motivation, Vertrauen und Feedback mit der Resonanz zusammen? Warum ist das Kompetenzdenken nur schwer mit dem Resonanzansatz vereinbar? Welche Rolle kommt hinsichtlich der Resonanzbeziehungen den digitalen Medien zu? Warum ist der Humor ein prägnantes Beispiel der Resonanz? Welche Resonanzerfahrungen hat Rosa selbst in der Schule gemacht? Das sind nur einige Fragen, mit denen sich die einzelnen Kapitel des Buches befassen.

Rosa hat als Wissenschaftler sicher in erster Linie den Anspruch prinzipielle und generelle Gesichtspunkte zu beleuchten. Es wird die Schule aus einer »Weltbeziehungstheorie« heraus geschildert. Die Bildung versteht Rosa als Resonanzphänomen und das Kind als Resonanzwesen.

»Lebendiges Lernen... entfaltet sich in einem Klima, das mich dazu beflügelt, auf eine bestimmte Weise mit der Welt in Beziehung zu treten. Ich will Weltausschnitte zum Sprechen bringen. Ich erlebe Weltbeziehung durch Anverwandlung... Bildung gelingt dort, wo wir für einen jungen Menschen einen Ausschnitt unserer Welt, der geteilten sozialen Welt oder überhaupt der Lebenswelt zum Sprechen bringen. Die Idee von Bildung ist, Welt für die Subjekte zum Sprechen zu bringen oder in Resonanz zu versetzen.« (S. 16ff.)

Die Anverwandlung ist in der Resonanzpädagogik ein zentraler Begriff, ein Aspekt des Lernens, er meint viel mehr als bloße Aneignung es Stoffes, sozusagen Kontrolle über etwas zu erlangen. Es ist viel mehr eine persönliche, fast wesenhafte Begegnung, in der man selbst als Lernsubjekt mit verwandelt wird. Auf dem Motiv der Resonanz als eines aktiven Vernehmens von einer zunächst verborgenen Sprache der Dinge in einer bis dahin stummen Welt, beruht die Resonanzpädagogik. Die Resonanzerfahrungen sind tiefe biographische identitätskonstituierende Erfahrungen des Berührt- oder Ergriffenseins. Als solche haben sie nicht nur eine intellektuelle, sondern eine innere Gemütsqualitat.

Jedoch ist das Buch nicht nur allgemein-theoretisch, sondern ist auch von kleinen sehr konkreten pädagogischen Beispielen durchspickt. Rosa diskutiert die Resonanz in Bereichen, wo es um Verstehen geht, in praktischen (Holzhacken), ästhetischen (Poesie, Tanz) und in der religiösen Erfahrungen (Sternenbeobachtung). Er weiß, dass die Resonanzerfahrungen auch ein leibliches Korrelat aufweisen in der Körperhaltung, im Hautwiderstand (Gänsehaut), in der Herz- und Atemfrequenz, in den Spiegelneuronen u.a.m.

Die Waldorfschule findet im Buch keine Erwähnung. Es gibt aber kaum eine zweite Pädagogik, die so stark mit dem Resonanzansatz arbeitet, wie sie. Sie versteht ihre pädagogische Aufgabe als ein »In-Einklang-Versetzen« des Kindes mit sich selbst und mit der Welt. Die Resonanz im Menschen selbst ist in der Waldorfpädagogik die Voraussetzung für positive Weltbeziehung.

Die Waldorfpädagogik beschreibt einen Bereich im Menschen, der rhythmisch mitschwingt, atmet, resoniert, das sog. rhythmische System, das Rudolf Steiner »das körperliche Organ der Erziehung, des Unterrichtes« nennt. Der ganze Unterricht ist auf Atmung, Rhythmus und Resonanz angelegt. Vor der Entstehung der Waldorfschule macht Rudolf Steiner eine Diagnose der Moderne und stellt das salutogenetische Motiv der zukünftigen Pädagogik als Notwendigkeit auf. »Die Kultur wird immer ungesunder werden« und die Schule muss mit allen Kräften Gesundendes entgegen stellen, auf Gesundheit, Salutogenese und Resonanz setzen. Die Gesundheit bildet sich durch die Qualität einer positiven Weltbeziehung, die entsteht, wenn der innere und der äußere, der obere und der untere Mensch miteinander »im Einklang« sind. Sind nicht auch die beiden Morgensprüche als ver-dichtete Essenz der Waldorfpädagogik ein Zeugnis einer resonierenden Weltbeziehung?

Rosas Betrachtungen und Ausführungen sind für uns Waldorfpädagogen anregend. Ein unvoreingenommener Blick auf die Waldorfpädagogik dürfte auch für Hartmut Rosa inspirativ sein. Zwischen Rosa´s Weltbeziehungstheorie und der waldorfpädagogischen Praxis gibt es Berührungsflächen

Schade, dass sich der Verlag nicht mehr Mühe mit dem Layout und der Bebilderung des Buches gemacht hat, dann würde es noch mehr Resonanz beim Leser erzeugen.

Hartmut Rosa, Wolfgang Endres: Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert. Beltz 2016, 144 S. – Euro 16,95