»Es ist normal, verschieden zu sein …«

Silke Engesser

Dieses umfangreiche – auch politische – Engagement begleitet die Schule seither in ihrer Geschichte. Zuletzt in der bundesweit Aufsehen erregenden gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Land Baden-Württemberg, die schließlich 2009 zur endgültigen Anerkennung als erste integrative Schule Baden-Württembergs führte.

Der Unterstufenflur des alten herrschaftlichen Gebäudes füllt sich rasch. Ein buntes Treiben belebt das Foyer, einige Eltern tauschen noch kurze Informationen untereinander oder mit Lehrern aus. Im Mittelstufenflur geht es ruhiger oder auch schon mal cooler zu. Eltern sind hier zu dieser Zeit selten anzutreffen. Im Oberstufenflur ist es still an diesem Morgen. Heute ist »Mittlere Reife-Prüfung« in Deutsch. Angespannte Ruhe. Ein Eindruck, der in der Prüfungszeit an vielen Schulen entstehen dürfte. Und doch ist etwas anders an der Emmendinger Schule.

Vier FSJ-lerinnen oder Bufdis (Bundesfreiwilligendienstler) aus den Unterstufenklassen machen sich auf den Weg, die Schüler, die mit den »extra« Schulbussen ankommen, in Empfang zu nehmen. Aus vielen Richtungen, zum Teil von weit her, kommen die Kinder und Jugendlichen in ihre Schule.

Die IWS besuchen rund 290 Schüler, darunter 47 mit einer Behinderung (sog. sonderschulpflichtige Kinder). Im Durchschnitt hat eine Klasse 24 Schüler. Der Hauptschulabschluss, die Mittlere Reife und – in Kooperation mit den Freiburger Waldorfschulen – Fachhochschulreife und Abitur können erlangt werden. Die Schüler mit Behinderung legen in aller Regel (bislang) keinen dieser Abschlüsse ab. Hier geht es vielmehr um eine Vorbereitung auf ein möglichst selbstständiges Leben nach der Schulzeit. Das beinhaltet auch das Heranführen an einen eventuellen Arbeitsplatz während der letzten beiden Oberstufenjahre.

Klassen- und gruppenübergreifende Unterrichte kommen in den späteren Schuljahren den unterschiedlichen Bedürfnissen der Schüler (vor allem der Schüler mit Behinderung) zugute und sollen Peergoups und Freundschaften entstehen lassen, die innerhalb einer Klasse vielleicht nicht zustande kämen.

Positive Herausforderungen

Das Anliegen der Inklusion ist vielschichtig und erschließt sich nicht auf Anhieb, schon gar nicht in seiner vollen Dimension. Zum jetzigen Zeitpunkt ist der kollegiale Umgang damit ein vorsichtiges Tasten und Suchen – nach Antworten auf die eigenen Fragen. Die überwiegend positiven Erfahrungen der vergangenen Jahre speisen die Zuversicht, dass der gemeinsame Unterricht tatsächlich das Zukünftige ist.

Inklusion steht für »Individualisierung« und ein hohes Maß an »Flexibilität« – besonders Letzteres ist in einem durchorganisierten Schulalltag eine große Herausforderung. Spielraum aber muss sein, zeitlich, räumlich, menschlich. Die (Alltags-) Hürden sind mächtig, die Erwartungen riesig. Die Momente wiederum, in denen Gemeinsamkeit, ja Gemeinschaft entsteht, können so befruchtend und erhellend sein, dass sie Zweifel aufwiegen und Kräfte mobilisieren.

Eine moderne Waldorfpädagogik, vor allem die Menschenkunde, bietet eine fruchtbare und umfangreiche Grundlage für den Inklusionsgedanken. Das Weiterforschen, das Sammeln von Erfahrungen, empirisch-wissenschaftliche (Er-)Kenntnisse und manchmal auch der Mut, Fehler zu machen, stehen auf der Wunschliste des Kollegiums.

Haben & Soll

Seit ihrer Gründung setzt die Emmendinger Waldorfschule auf das Konzept der Teamarbeit (auch Teamteaching oder Zwei-Lehrer-Prinzip genannt). Ein Klassenlehrer und ein heilpädagogischer Lehrer oder Sonderpädagoge bilden ein Team, das ihre Klasse durch die ersten acht Jahre begleitet. Ihre Kompetenz steht den Schülern jederzeit zur Verfügung.

In der Oberstufe wird dieses Klassen- von einem Betreuerteam abgelöst. Hier ist die Zusammenarbeit durch die von verschiedenen Fachlehrern erteilten Epochen nicht so engmaschig. Die Teamarbeit stellt im Ideal eine positive und anstrebenswerte Art des Führens und Unterrichtens einer Klasse dar. Sie färbt definitiv auf das Kollegium, auf die Klasse, auf die Elternarbeit und das gegenseitige Vertrauen ab.

Es hat sich gezeigt, dass es verbindliche schriftliche Vereinbarungen zwischen den Teampartnern, auch zwischen den Fachlehrer-Teampartnern braucht. Ebenso wichtig sind Supervisionen (von externen Fachleuten) für die gelingende Teamarbeit – zusätzlich zu den vor- und nachbereitenden wöchentlichen Teamsitzungen.

Eine Ausbildung oder Erfahrung mit dieser Art von Teamarbeit haben Waldorflehrer und oft auch Heilpädagogen in der Regel zuvor nicht sammeln können. Und nicht jeder ist bereit, dem erhöhten Zeitbedarf auf sich zu nehmen, Absprachen einzuhalten oder Verbindlichkeiten mitzutragen.

Warum entscheiden sich Eltern für die Emmendinger Waldorfschule?

Der größte Anteil der Eltern sucht die Waldorfpädagogik, ein kleinerer Anteil die Alternative zur staatlichen Schule. Die Eltern der Kinder mit einer Behinderung suchen in überwiegender Zahl eine Schule, die nicht aussondert; sie haben oft schon einen nicht geringen »Leidensweg« hinter sich und suchen nach Verständnis und offenen Türen für ihr Anliegen.

Wie so oft werden einige der Erwartungen erfüllt und andere nicht. Ein Inklusionskreis, der sich aus Eltern und Lehrern zusammensetzt, arbeitet hier an den Themen Transparenz und Kommunikation, denn das sind erfahrungsgemäß die schwierigen Punkte.

Silke Engesser ist Handarbeitslehrerin und Öffentlichkeitsarbeiterin an der IWS Emmendingen und Mitglied im Arbeitskreis Inklusion.

www.waldorfschule-emmendingen.de