Liebex Lesex und liebex Lesex!

Henning Kullak-Ublick

Schon in der biblischen Schöpfungsgeschichte unterscheidet sich Adam (hebräisch für »Mensch«) von den Tieren, weil er ihnen Namen gibt. Das Gleiche tun Kinder, wenn sie sprechen lernen und daran wiederum ihr Denken entzünden. Namen sind wichtig. Vermutlich wären wir mit Bezug auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern noch nicht über die 1950er Jahre hinausgekommen, wenn uns die Frauenbewegung nicht auch sprachlich sensibilisiert hätte.

Seit einiger Zeit bekommt das »wording« allerdings eine wundersame Dynamik, die uns viel Denk-Arbeit abnimmt: Namen werden wichtiger als das, worauf sie sich beziehen. Wenn wir nur die richtigen Vokabeln benutzen, sind alle zufrieden. Das kollektive Wohlgefühl wird ungemein gestärkt, wenn wir uns ganz unabhängig vom Sinn einer Rede auf der Seite der Guten wissen dürfen, weil die Wortwahl sich mit unserer Konditionierung deckt. Schon Goethes Mephisto wusste: »Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein. Mit Worten lässt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten, an Worte lässt sich trefflich glauben, von einem Wort lässt sich kein Jota rauben.« Mit einem gut funktionierenden verbalen Reiz-Reaktions-Mechanismus lassen sich demokratische Verfahren deutlich abkürzen, indem man einfach ausgrenzt, was nicht im Schema liegt. Aber man muss sich anstrengen, um mitzuhalten, denn hinterlistigerweise liegen ungezählte Wort-Tretminen auf unserem von der »PC« noch unerleuchteten Pfad vergraben.

Lann Hornscheidt vom Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien der Berliner Humboldt-Universität weist uns nun einen neuen Weg vom Sinn zum Wort. Wenn es nach ihr ginge, wäre sie keine Professorin mehr, sondern eine Professx, wir Lehrex unterrichten unserex Schülerx, Jounalistex berichteten über Schaffnerx, Verkäuferx und Zoowärterx – kurz: fortan lebten wir geschlechtsneutral-diskriminierungsfrei.

Mann und Frau, Adam und Eva, Romeo und Julia, Brad und Angelina gehörten mitsamt ihren Dramen der Vergangenheit an. Professx Hornscheidt meint es gut mit uns.

Nur beschleicht mich der Verdacht, dass derlei sprachliche Sterilisierungsmaßnahmen gerade erst bewirken, was sie verhindern wollen: Die Fixierung auf den Körper. Mit der Tabuisierung des Geschlechts wird der Blick auf das eigentlich Menschliche, das Ich, das sich durch die Hüllen der Seele und des Körpers zwar offenbart, in diesen aber nicht erschöpft, erst recht verstellt.

Unsere Körper sind wunderbar gestimmte Instrumente, von denen keins dem anderen gleicht. Wir sollten sie ehren und lieben, denn wo wären wir nur ohne sie? »Sie« und »er« sind Ehrentitel, solange wir nicht vergessen, wer durch sie wirkt.

Henning Kullak-Ublick, von 1984 – 2010 Klassenlehrex an FWS Flensburg; Vorstandex im Bund Freien Waldorfschulen und bei Freundex Erziehungskunst Rudolf Steiners, Aktion mündige Schule (www.freie-schule.de)