Neujahrsvorsätze

Henning Kullak-Ublick

Ich nehme mir vor, in diesem Jahr ein Kind weniger verhungern zu lassen. Über zweieinhalb Millionen Kinder verhungerten 2013, bevor sie ihr fünftes Lebensjahr erreicht hatten. Das zu fühlen, fehlt mir die Kraft. Aber das Überleben eines einzelnen Kindes mit ein paar Euro zu ermöglichen, müsste gehen.

Ich nehme mir vor, einem Kind eine Schulbildung zu ermöglichen. Während unsere designierten Regierungsparteien einmal mehr die schon ziemlich in die Jahre gekommene Sau des »Laptops für alle« durchs deutsche Mediendorf treiben, will ich mich darum kümmern, dass ein Kind in Bangladesch oder Indien ein Jahr eine Schule besuchen kann.

Das alles ist nicht neu. In Rio entstand auf dem Weltklimagipfel vor 22 Jahren der Slogan »global denken, lokal handeln«, verbunden mit der Hoffnung: »Eine andere Welt ist möglich.« Inzwischen hat das Internet uns den Globus auf jeden heimischen Bildschirm gebracht – aber macht es auch unser Denken, unser Fühlen, unser Handeln weltwach? Nach einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts des Landes Niedersachsen verbringen die Jugendlichen in Deutschland durchschnittlich siebeneinhalb Stunden vor dem Bildschirm – täglich. Die meiste Zeit füllen stereotype Rollenbilder, Modetrends, Aliens und Computerspiele aus. Sie mögen blitzschnelle Reaktionen herausfordern, aber auch Mitgefühl, Entschlusskraft und selbstständiges Denken? Früher bezeichnete man es als »schwarze Pädagogik«, wenn Konditionierung, Dressur, Strafe und Belohnung das freie Urteilsvermögen in seiner Entwicklung behinderten. Das ist autoritär, dogmatisch, indoktrinierend.

Warum aber setzen sich so viele Menschen freiwillig dieser Dressur aus? Was suchen und finden sie in diesen millionenfach reproduzierten Klischees, die ihnen von klein auf beibringen, der Mensch sei ein egoistisches Tier, das sich im Kampf ums Dasein nur behaupten kann, weil er schneller, abgebrühter und raffinierter ist als die gesamte globale Konkurrenz am Fressnapf? Ist es die Sehnsucht, sich an fremde Urteile anzulehnen? Ist es die Sehnsucht nach Autorität?

Rudolf Steiner hatte eine völlig anderen Begriff von »Autorität«. Er sprach von einer Autorität, die niemals eingefordert oder gar installiert werden kann, die aber den Kindern in ihrer Sehnsucht nach Bindung und Orientierung die Möglichkeit gibt, sich voll und ganz auf die Erwachsenen zu verlassen und im Vertrauen auf deren Lebensklugheit und Authentizität ihr eigenes Urteilsvermögen auszubilden, zu erproben und die Welt anschließend denkend zu durchdringen. Er nannte das »geliebte Autorität«.

Ist es diese menschliche Verbindlichkeit, an deren Stelle sich die elektronisch hochgepowerten Ersatz-Autoritäten setzen?

Ich nehme mir vor, in diesem Jahr etwas dafür zu tun, dass ein Kind nicht verhungert. Und zur Schule gehen kann. Und dass wir global denken und fühlen und dann handeln.

Zum Beispiel hier: www.freunde-waldorf.de

Henning Kullak-Ublick, von 1984-2010 Klassenlehrer an der FWS Flensburg; Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen und bei den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners, Aktion mündige Schule (www.freie-schule.de)