Occupy Brandenburg

Henning Kullak-Ublick

Wie ein Lauffeuer erfasste eine für uns Westler völlig unerwartete Bürgerbewegung erst Ägypten und griff dann auf Libyen, Syrien, den Jemen, Bahrain und andere arabische Länder über. Und während wir noch darüber staunten, dass es eine arabische Welt jenseits von Diktatur und Islamismus gibt, passierte etwas, das wir noch weniger erwartet hatten: Junge Menschen ließen sich von dem zivilen Ungehorsam der Araber inspirieren und begannen zunächst an der Wall Street, bald aber auch an anderen großen Börsenzentren mit der »Occupy«-Bewegung. Unter dem Motto »The only solution is World Revolution« protestieren sie seither gegen die Macht des globalen Finanzkapitalismus.

Obwohl diese Bewegung bis heute (Ende Oktober) nicht besonders viele Protestler auf die Straße gebracht hat, fand sie eine riesige mediale Aufmerksamkeit. Zahlreiche deutsche Politiker erklärten eiligst ihr »Verständnis«. Das dürfte ihre Besorgnis spiegeln, die Euro-Krise könnte an den Grundfesten unserer Demokratie rütteln. Dabei ist das auf die Abgabe von Verantwortung an die Parteien eingespielte System ohnehin schon erschüttert. Nach »Stuttgart21«, nach  Fukushima und angesichts der Kaperfahrt der »Piraten« in Berlin. Da scheint das Vertrauen der Bevölkerung in unsere parlamen­tarischen Institutionen weitgehend erschöpft. Fragt sich nur: Was kommt danach?

So unterschiedlich die Ursachen und so verschieden die Erscheinungsformen der aktuellen Protestbewegungen sein mögen: Was sie verbindet, ist der Anspruch der Bevölkerung, die Entwicklung der Gesellschaft mitzugestalten und nicht länger der Willkür elitärer Minderheiten ausgeliefert zu sein.

Offensichtlich handelt es sich, wie bei der Finanzkrise, um ein globales Phänomen. Während allerdings die Menschen in den arabischen Staaten gerade erst damit beginnen, eine Zivilgesellschaft aufzubauen, geht es bei uns darum, die Demokratie von den herrschenden Eliten zurückzuerobern, damit unsere schleichende Entmündigung nicht immer weiter voranschreitet.

Jüngstes Beispiel dafür ist die Schulgesetznovelle in Brandenburg, die ganz unverblümt darauf abzielt, die freien Schulen im Land zurückzudrängen. Wahlrecht der Eltern? Initiative von Lehrerinnen und Lehrern? Wettbewerb um pädagogische Ideen? Spielt alles keine Rolle, denn es gilt, die zentrale staatliche Hoheit im Bildungswesen zu verteidigen – auch gegen den Willen der Bevölkerung. Mündigkeit ist ein flüchtiges Gut, das immer neu errungen werden muss. Bei der Frankfurter Paulskirchen­versammlung im Jahr 1848 rief der Neißer Abgeordnete Pauer der Versammlung zu: »Wenn Sie die Freiheit des Volkes wollen, schaffen Sie freie Schulen!« 165 Jahre später geht es immer noch darum. Occupy Brandenburg!

Henning Kullak-Ublick, seit 1984 Klassenlehrer (zurzeit freigestellt), Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen und bei den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners, Aktion mündige Schule (www.freie-schule.de)